: Im Schnittmuster der FDJ
Das Deutsche Theater bringt mit Ingo Schulzes „Neue Leben“ den Wendehelden auf die Bühne. Doch die Inszenierung vom Künstler, der zum Unternehmer wird, zeigt nur die bekannten Symbole
VON JOCHEN SCHMIDT
Den Tag der deutschen Einheit hat man an den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit der Premiere einer Bühnenadaption von Ingo Schulzes Roman „Neue Leben“ begangen. Wenn man sich zu dieser Gelegenheit für den erfolgreichen Roman eines international anerkannten Autors mit DDR-Sozialisation entscheidet, kann man ja eigentlich nichts falsch machen, hat man sich wohl gedacht.
Viel gewagt hat man mit der Inszenierung von Robert Schuster allerdings nicht. Sie wirkte wie der Versuch, in zwei Stunden möglichst viel vom Roman unterzubringen. Textmassen waren den großartigen Schauspielern aufgebürdet. Hätte man die Augen geschlossen, man hätte nicht viel verpasst und ein Hörbuch genossen, immerhin.
Schulzes Vorlage tut an diesem Tag niemandem weh. Ein Panorama der Umbrüche, durch die wir eben alle gegangen sind. Dabei wird die DDR (man will ja zeigen, dass man über die Haußmann-Brussig-Phase hinweg ist) nicht komisch gefunden, sondern als Hölle der Anpassung angeprangert. Aber als sie dann verschwunden war, herrschte eben auch Ratlosigkeit. „Die Aufmerksamkeit wird aus der Welt verschwinden“, prophezeit der Held Enrico Türmer im Buch den damaligen Schauspielern des DT, von denen ja leider nur noch wenige geblieben sind.
Ein Paradies war die DDR nur für Schriftsteller, die hier ihr Material fanden, wie der Held des Romans. Mit der Wende fragt er sich: „Was sollte ein Schriftsteller ohne Mauer?“ und wird Unternehmer. Die neue Zeit befreit ihn regelrecht von seinem Kunstwollen und lehrt ihn die Freude, etwas selbst Hergestelltes zu verkaufen – und sei es nur das erste Altenburger Anzeigenblatt. In einer verzweifelt-komischen Szene bringt er es auf dem Markt persönlich an den Mann. Es gibt ja niemanden, dessen Biografie in dieser Zeit nicht ähnliche pittoreske Momente aufzuweisen hätte. Die Wende hat jeden DDR-Bürger zum Romanhelden gemacht.
Was das Buch solchen brillanten Episoden an geschichtsphilosophischer Fiktionsschlacke hinzuzufügen weiß, wird man nachlesen müssen. Es wäre ja auch verdächtig, wenn die Bühne den Sieg davontrüge. Der Autor eines Romans muss eigentlich froh sein über jede gescheiterte Bearbeitung, weil sie nur beweist, dass er sich zurecht für Prosa entschieden hat.
Der Text wird denn auch größtenteils als Monolog abgearbeitet, nur hier und da aufgeteilt auf Verkörperungen des Helden aus verschiedenen Epochen seines Lebens. Bernd Stempel als Unternehmer-Enrico spricht erstklassig und überzeugt mit wenigen Gesten. Kathrin Klein kann mit einer einzigen Handbewegung einen Besen von DDR-Lehrerin heraufbeschwören. „Warum bist du nicht für den Frieden?“, fragt sie Enrico bei der Werbung für den Wehrdienst. Aber insgesamt sind die Schauspieler und das Medium Theater doch deutlich unterfordert.
Belebung kommt bezeichnenderweise in den Szenen mit komischem Unterton auf. Und Lähmung tritt ausgerechnet da ein, wo der DDR die Leviten gelesen werden sollen. Der Bericht von den Brutalitäten der Polizei um den 7.Oktober 1989 hört sich an wie eine brave Rezitation der bekannten Untersuchungsprotokolle von damals. Hier wird dem Zuschauer Erschütterung über etwas Geschehenes aufgezwungen, und das ist immer Agitprop.
Regelrecht ärgerlich sind allerdings die für das Theater offenbar inzwischen im DDR-Kontext unverzichtbaren FDJ-Luder, hier sogar von Männern gespielt – mit blauen FDJ-Röcken, die kein Mensch je getragen hat und dazu peinlichen Oma-Strumpfhosen, das ist Kabarett. Auch der blaue Trainingsanzug, den der DDR-Enrico zur besseren Erkennbarkeit tragen muss, hat einen DDR-Schriftzug, wie er heute vielleicht auf der Kastanienallee in Mode sein mag, wie man ihn damals aber nie gesehen hat. Es mag pedantisch wirken, in solchen Details Korrektheit einzufordern. Aber es ist eben grober Kitsch, die DDR mit ihren notorischen Symbolen vorzuführen, die dann noch nicht einmal stimmen.
Im Übrigen ist einem der Unternehmer-Enrico viel sympathischer als der verquaste Autor-Enrico, der die Genese des Autors in dem Moment erlebt, als er in der Schule zu lügen lernt. Der Unternehmer-Enrico verkauft ganz ehrlich sein Anzeigenblatt: „Es funktionierte, und dieser eine Erfolg machte mich süchtig.“ Sympathisch auch, wie er sich schon bei den Montagsdemos für die Sprechchöre seiner Mitbürger schämt: „Was ich an der ganzen Demonstration so peinlich fand, war ihr Feierabendcharakter“. Darin beweist er jene Klarsicht, die ja auch den Autor Ingo Schulze von älteren Autoren, die diese Zeit noch als heroisch und die DDR als reformierbar empfunden haben, unterscheidet.
Wieder in den DT Kammerspielen am 16. und 18. Oktober