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Archiv-Artikel

Die Zukunft wird vertagt

Der schwierige Weg der innerparteilichen Willensbildung: Der WASG gelingt es nicht, eine beschlussfähige Mitgliederversammlung durchzuführen. Dabei gäbe es so einiges zu beschließen

von Benno Schirrmeister

Was geht mich das an, müssen sich zwei Drittel der Mitglieder gedacht haben. Und sind nicht erschienen: Mittwoch war Landesmitgliederversammlung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). Und obwohl deutlich mehr Parteibuchbesitzer gekommen waren, als beim letzten Versuch am 16. September, musste der Protokollführer doch wieder „Beschlussunfähigkeit“ feststellen.

Bitter. Denn es geht um viel für die WASG: im Besonderen um die Frage nach der Liste für die Bürgerschaftswahl im Mai. Im Allgemeinen aber um die Frage nach dem Verhältnis zur Linkspartei – und die eigene Zukunft. Zur Abstimmung nämlich hätte eine von der Bremer Linkspartei bereits abgenickte, vom WASG-Bundesvorstand ausgearbeitete „Kompromissformel“ gestanden – die ganz den Geist der geplanten Fusion beider Körperschaften atmet. Ihre umstrittenen Kernsätze sind, „dass der Einreicher“ der Wahlliste „die Linkspartei wird“ und sie als „Die Linke. Wahlalternative“ oder „Die Linke. WASG“ firmieren soll. Als Gegenentwurf dazu hatte die WASG-interne „Linkstendenz“ einen Vorschlag für „ein offenes Bündnis aller Bremer Linken“ vorgelegt, mit dem man als Wählergemeinschaft antreten könne.

Wie die Abstimmung ausgegangen wäre, wenn es denn zur Abstimmung gereicht hätte, sehen beide Flügel unterschiedlich: „Ich gehe davon aus“, resümiert Linkstendenz-Gründer Heino Berg seine Eindrücke, „dass der so genannte Kompromissvorschlag keine Mehrheit erreicht.“ Die Debatte sei hitzig gewesen, räumt auch Bundesvorstand Axel Troost ein. Jetzt müsse aber „der Verstand wieder einsetzen“, das sei am Ende allen klar gewesen. „Für den Listenvorschlag“, so der Bundestagsabgeordnete, „sehe ich nicht einmal ansatzweise eine Mehrheit.“ Auf 50:50 schätzt WASG-Landesvorstand Peter Erlanson die Chancen – wobei er befürchtet, dass „eine knappe Mehrheit die Spaltung bedeuten“ würde. „Und das kann ja auch nicht im Interesse des Bundesvorstands sein.“ Dessen Kompromissformel nennt Erlanson „eine Unverschämtheit“ – weil sie zwar formal ein Vorschlag „aber doch sehr apodiktisch verfasst“ sei. „Was unser Bundesvorstand da vorgelegt hat, hätte eigentlich nur die Linkspartei so formulieren können“, so Erlanson. Den „größeren Charme“ gesteht er der Idee der Wählergemeinschaft zu – die aber auch „schwieriger zu realisieren“ sei.

Linkspartei-Chef Klaus-Rainer Rupp will die momentane Handlungsunfähigkeit des potenziellen Partners nicht überbewertet wissen: Das selbst auferlegte Quorum – 30 Prozent der Mitglieder müssen zur Beschlussfassung anwesend sein – sei eben „unrealistisch“. Das sei aber „nicht die große Katastrophe“. Nach 14 Jahren Linkspartei bringe ihn „so schnell nichts aus der Ruhe“, sagt er und verweist auf die „erstaunlich vernünftige“ Arbeit am gemeinsamen Wahlprogramm. Das wird derzeit in parteiübergreifenden Ausschüssen formuliert – und Rupp zufolge „nicht verhandelt“, sondern in größter Einmütigkeit aufgeschrieben.

Was damit geschieht, wenn die Linkstendenzler in der WASG sich durchsetzen, bleibt unklar. Fakt ist, dass das Bremer Wahlgesetz beide Konstruktionen zuließe, wie Rechtsanwalt Ralf Trümner auf der Versammlung ausführte. „Die Idee der Wählergemeinschaft“, so Berg, „ist ja kein Hirngespinst der Linkstendenz.“ Ist sie doch, behauptet Troost – weil die „Quellparteien dann keine Wahlkampfkosten aus eigenen Mitteln übernehmen“ würden. „Mit 85 Cent pro Stimme – da kann man vielleicht ein, zwei Großveranstaltungen machen, dann ist aber auch schon Schluss.“

Beide WASG-Flügel sehen im Modell des jeweils anderen einen Verstoß gegen einen Parteitagsbeschluss vom vergangenen Dezember: Sinngemäß sah der vor, dass die WASG zur Bürgerschaftswahl antritt und die Linkspartei auf ihrem Ticket mitfahren lässt. Dessen zentrale Botschaft ist den Linkstendenzlern zufolge der Führungsanspruch der WASG. Troost hingegen hält nur noch für bedeutsam, dass die WASG überhaupt antritt – egal auf welcher Liste. Und die Ex-PDS hat jetzt doch Anspruch auf die Federführung angemeldet. Sicher, so Troost, auch der WASG-Bundesvorstand habe sich das einst anders vorgestellt. Inzwischen sei aber der „Parteibildungsprozess“ so weit gediehen, dass ein anderer Name als Linkspartei gar nicht mehr vermittelbar wäre. Das sieht Klaus-Rainer Rupp übrigens ähnlich. Im Übrigen sei seine „Leidenschaft für den formalen Rahmen gering“.