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Archiv-Artikel

Häuslebauer statt Hausbesetzer

Immer mehr Berliner interessieren sich für alternative Wohnformen. In Gruppen bauen sie Häuser, in denen Kinder, deren Eltern und alte Menschen zusammenleben. Anders als in Hamburg fördert das Land Berlin diese Projekte kaum

von ANTJE LANG-LENDORFF

Wenn Harald Zenke auf der Toilette pupst, können das alle im Haus hören. „Wir haben es noch nicht geschafft, die Türen einzubauen. Aber das kommt noch“, sagt er. Alle, das sind in diesem Fall seine Frau und die zwei Söhne. Seit einem Jahr wohnt die Familie im neuen Haus in der Lebens(t)raum-Siedlung in Treptow-Köpenick. Sie selbst haben die Wände hochgezogen und die Dielen im Wohnzimmer verlegt. Das war viel Arbeit. Die Türen, die müssen eben noch etwas warten.

Harald Zenke, der selbst Architekt ist, geht durch den Flur im ersten Stock, zeigt das mit schwarzem Schiefer ausgelegte Bad, die großen, mit Lehm verputzten Kinderzimmer. Es riecht nach Holz. Vom Balkon sieht man hinunter in den gemeinschaftlichen Garten. 15 zweistöckige Häuser stehen im Kreis, in ihrer Mitte wachsen niedrige Büsche, das erste Gras. Neben einigen vom Bauen übrig gebliebenen Baumstämmen schwanken hohe Sonnenblumen im Wind. Eine große Feuerstelle liegt kalt und leer in der Sonne. Man kann sich vorstellen, wie sich die Bewohner hier samstagabends ums Lagerfeuer versammeln, wie sie grillen, Geschichten erzählen, Bier trinken.

Es ist schön geworden, was Zenke, seine Frau und die anderen aus der Baugruppe da geschaffen haben. Eine kleine Idylle am ehemaligen Flughafen Johannisthal, der heute ein Landschaftspark ist. Ein Ökodorf, angrenzend an die Industrieruinen von Schöneweide.

Immer mehr Menschen in Berlin interessieren sich für gemeinschaftliche Wohnformen wie die „Lebens(t)raum“-Siedlung. „Die Nachfrage bei uns hat im letzten Jahr wahnsinnig zugenommen. Wir hatten Info-Veranstaltungen, da wurden wir geradezu überrannt“, sagt Heidemarie Cramer vom Arbeitskreis Wohnprojekte in Berlin (AK-WiB), einem Zusammenschluss mehrerer Gruppen. Einige der neuen Baugemeinschaften bilden sich zurzeit. Andere setzen ihre Pläne bereits in die Wirklichkeit um (siehe Text rechts).

Wohn-, Dorf- oder Hausgemeinschaften bergen viele praktische Vorteile. Man hilft sich gegenseitig, zuerst beim Bau, später im Alltag. „Wir passen abwechselnd auf die Kinder auf, wir bilden Fahrgemeinschaften, wir kaufen zusammen ein“, erzählt Gabi Mittag, Harald Zenkes Frau. „Man muss sich aber auch zurückziehen können“, sagt er. Eine Balance zu finden zwischen Nähe und Distanz in der Gruppe, das halten beide für wichtig.

Anders als in den Wohngemeinschaften der 68er, anders auch als in den besetzten Häusern der 80er- und frühen 90er-Jahre sind heute vor allem Wohnformen gefragt, in denen jede Einheit einen abgeschlossen Raum für sich hat. Großküchen gibt es kaum noch. Die von den Gruppen geteilten Flächen beschränken sich meist auf Gemeinschaftshäuser, auf Gästezimmer und den Garten. Innerhalb der eigenen Familie mögen fehlende Klotüren zeitweilig nicht stören. Eine Haustür will man aber doch – nicht nur aus Sicherheitsgründen.

Gegen die Bürokratie

Im Vergleich zu den WG-Kommunarden oder Hausbesetzern treten die Baugruppen heute sehr professionell auf. Viele haben einen Architekten im Team. Sie kennen sich aus mit Bebauungsplänen, mit Kredit- und Rechtsfragen. Dazu zwingt sie auch die Politik: Die Selbsthilfeförderung hat der rot-rote Senat faktisch abgeschafft. Nur wer sich auf dem freien Markt bewegen kann, hat als Wohnprojekt Aussicht auf Erfolg. „In Berlin bekommen die Gruppen vom Senat so gut wie keine Unterstützung“, sagt Heidemarie Cramer vom AK-WiB. Viele resignierten angesichts der hohen finanziellen, rechtlichen und bürokratischen Hürden.

In anderen Städten sieht das ganz anders aus: Im von der CDU regierten Hamburg gibt es beispielsweise eine eigene „Agentur für Baugemeinschaften“, an die sich interessierte Gruppen wenden können, wenn sie Hilfe brauchen. Sie kommen hier auch viel leichter an Grundstücke: 15 Prozent der Flächen, die das Land veräußert, sind für Gemeinschaftsprojekte reserviert. Die Hamburger Wohnungsbaukreditanstalt hat für Baugruppen sogar einen eigenen Förderstrang geschaffen. Mit „Stattbau Hamburg“ und der „Lawaetz-Stiftung“ gibt es zwei weitere Stellen, die neue Projekte beraten und betreuen.

In Berlin wenden sich Interessierte vor allem an den AK-WiB, der mit seinen zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern überfordert ist. „Wir brauchen auch in Berlin eine Koordinierungsstelle, die die Gruppen berät, die ihnen beispielsweise hilft, Kontakte zu Banken herzustellen. Das können nicht alles wir machen“, sagt Heidemarie Cramer. Die Berliner Grünen haben im November 2005 im Abgeordnetenhaus einen Antrag für die Schaffung einer solchen Koordinierungsstelle gestellt – ohne Erfolg.

Nicht nur guter Rat ist schwer zu bekommen: Anders als zu Hausbesetzerzeiten gibt es in Berlin kaum mehr leer stehende Altbauten, die zu sanieren sind. Gruppen, die zusammen leben wollen, suchen daher häufig nach freien Grundstücken, die sie bebauen können. So auch die die Initiative „Autofrei Wohnen Berlin“, die die Lohmühlinsel an der Schlesischen Straße neu gestalten will. Eine bessere Lage gibt es im Kreuzberg kaum: Die Insel ist von drei Seiten mit Wasser umgeben, der Spree, dem Landwehrkanal und dem Flutgraben. Vom Spreeufer schaut man direkt auf die Oberbaumbrücke. Zum Schlesischen Tor und zum Wrangelkiez sind es nur fünf Minuten zu Fuß.

Heute steht hier ein Betonmischwerk, doch der Inhaber hat vor, die Fläche zu verkaufen. Wo Bagger ein- und ausfahren und Kräne über den Platz schwingen, will die Baugruppe eine autofreie Zone schaffen. Häuser mit bis zu sieben Geschossen sollen gebaut werden, rund 200 neue Wohnungen mit hohem, ökologischem Standard. Bis dieser Traum wahr wird, ist es allerdings noch ein weiter Weg: Zunächst muss die Initiative für ihre Genossenschaft noch Mitstreiter finden. Ein Bebauungsplanverfahren soll durchgeführt und das Grundstück gekauft werden. Frühestens 2009 wären die Häuser fertig.

Billig sieht anders aus

Da man für Neubauten zumindest einen gewissen Anteil an Eigenkapital mitbringen muss, findet – wenn auch von der Gruppe nicht gewollt – eine soziale Auswahl statt. Rund 1.800 Euro würde der Quadratmeter Wohnfläche auf der Lohmühleninsel kosten, für eine 100-Quadratmeter-Wohnung käme man auf 180.000 Euro. „Mindestens 30 Prozent der Gesamtsumme sollten man haben, wenn man bei uns mitmachen will“, sagt Nermin Safi-Schöppe, die die Initiative mit ins Leben gerufen hat. So verschiebt sich das Klientel für gemeinschaftliche Wohnprojekte, weg von den mittellosen Studenten und Hausbesetzern, hin zu einer grünen Mittelschicht, die zumindest über ein gewisses Kapital verfügt.

Und noch eine Gruppe findet mehr und mehr Gefallen am Gemeinschaftsleben: die Alten. „Aus der Ecke der Hausbesetzer sind wir ganz raus. Wir haben eine große Nachfrage vor allem von älteren Menschen“, sagt Josef Bura vom Projektentwickler „Stattbau“ in Hamburg. Das kann der AK-WiB bestätigen: Die meisten neuen Berliner Projekte sind als Mehrgenerationshäuser angelegt, in denen Kinder, Erwachsene und Senioren wieder enger zusammen rücken.

Ein Grund für die Nachfrage Älterer ist sicherlich auch, dass die ehemaligen 68er selbst in die Jahre kommen. Die Genossenschaft SelbstBau, die bisher Altbauten in Prenzlauer Berg sanierte, renoviert zurzeit eine Schule in Karlshorst, da man hier Fahrstühle einbauen kann „Die SelbstBau will ihren Mitgliedern die Möglichkeit geben, auch innerhalb der Genossenschaft umzuziehen, wenn sie nicht mehr so viele Treppen laufen können“, sagt Architekt Ralf Weißheimer, der die Sanierung betreut.

Auch bei den Lebensträumern in Johannisthal ist das ein Thema. „Angesichts der demografischen Entwicklung brauchen wir Wohnformen, die auch im Alter noch funktionieren“, sagt Harald Zenke. „Wenn wir viele sind, können wir etwa versuchen, die Pflege gemeinschaftlich zu regeln.“ Die Gruppe wächst. Auf dem Nachbargrundstück des Lebens(t)raumes soll eine weitere kleine Siedlung mit dem Namen „Morgensonne“ entstehen.

Zenkes eigenes Haus ist so aufgeteilt, dass man das obere Stockwerk getrennt vermieten und nur im Erdgeschoss leben könnte. „Meine Eltern sind über achtzig und wohnen ganz alleine in einem großen Haus mit Grundstück in Nordhessen. Das will ich für mich später nicht.“