: Grüne suchen neuen Anschluss
In zwei Bezirken wollen die Grünen lieber mit der CDU als mit der SPD zusammenarbeiten. Das Vertrauen in die SPD ist erschüttert, zudem sei auf die Union bei Absprachen viel eher Verlass
von ULRICH SCHULTE
Was in den Bezirken passiert, interessiert die meisten SPD-Landespolitiker in etwa so sehr wie die Kommunalpolitik von Bad Salzuflen. Doch im Moment sehen sie genauer hin. Denn nachdem die Sozialdemokraten den Grünen im Land einen Korb gaben, könnte Rot-Grün auch auf Bezirksebene zum Auslaufmodell werden. „Loyalitätsgefühle gibt es nicht mehr“, sagt die grüne Fraktionschefin Sibyll Klotz. Die Frage möglicher Bündnisse werde „versachlicht“ diskutiert, andere Optionen „offener betrachtet“ als bisher.
Droht der SPD in den Bezirken die grüne Rache? Die Verhandlungen über die Neubesetzung der Bezirksämter laufen, und tatsächlich geht die Ökopartei auf Distanz zur SPD – mit der sie jahrelang Seit an Seit kämpfte. In Charlottenburg-Wilmersdorf verhandeln die Grünen gerade ein Novum, nämlich eine Zählgemeinschaft mit der CDU. „Wir denken sehr ernsthaft über Schwarz-Grün nach“, sagt Grünen-Fraktionschef Andreas Koska. In der Verkehrs- und Baupolitik liege man näher bei der CDU, zudem habe sich die SPD in den bisherigen Verhandlungsrunden nach Gutsherrenart aufgeführt, so Koka. „Die Bereitschaft, uns entgegenzukommen, war sehr gering – ähnlich wie im Land.“ Dabei schwingt noch eine andere Überlegung mit: Die drei SPD-Bezirksamtsmitglieder könnten die anderen drei Stadträte überstimmen, denn in Pattsituationen zählt die Bürgermeister-Stimme doppelt.
Es geht also nicht um Rache an der SPD, sondern um Zweifel an ihrer Politik. Die Öffnung für neue Bündnisideen fällt Bezirkspolitikern auch deshalb leicht, weil sie pragmatisch denken. Das politische Bezirksamt – also die Koalitionsbildung samt Aufteilung der Stadtratsposten zwischen den Regierungsparteien – wird erst bei den nächsten Wahlen eingeführt. Im Moment wird das Rathaus nach Fraktionsstärke besetzt – und im Bezirksparlament je nach Thema auch mal bunt durcheinander gestimmt.
Auch in Tempelhof-Schönefeld steht die bisherige rot-grüne Zählgemeinschaft auf der Kippe. „Für eine Fortsetzung sehe ich noch viele Fragezeichen“, sagt die grüne Stadtentwicklungsstadträtin Elisabeth Ziemer. Sie ärgert sich über das Agieren der SPDler. „Bei Bauprojekten hat die SPD gerne im Schulterschluss mit der CDU Investoreninteressen gegen die Bürger durchgesetzt – und gegen uns, den eigentlichen Partner.“ Durch das wiederholte Paktieren mit der CDU habe die SPD das Vertrauensverhältnis stark beschädigt, so Ziemer.
Eines wundert die Bezirksgrünen besonders: Während SPD-Politiker im Land nicht oft genug betonen konnten, ein Bündnis müsse verlässlich sein, praktiziert ihre Partei in den Bezirken gerne das Gegenteil – und sucht sich ihr Stimmvieh nach Lust, Laune und Thema. Beispiel Tempelhof-Schöneberg. Die SPDler hätten die Zählgemeinschaft, die alle Beteiligten sogar per Vereinbarung geregelt hatten, „systematisch torpediert und zerrüttet“, sagt Stadträtin Ziemer. Die Absprache sah zum Beispiel vor, in Konfliktfällen auch die Kreisvorstände der Parteien einzuschalten. „Das haben wir einmal gemacht. Dann merkten wir, dass die SPD-Vorständler gar kein Interesse daran hatten.“
Auch Koska beobachtet in Charlottenburg-Wilmersdorf wacklige Sozialdemokraten: „Bei der SPD kann man nie sicher sein, ob sie sich an Absprachen hält. Bei der CDU ist das anders.“ Sein Fazit: Wenn man sich bei der Parkraumbewirtschaftung einigt, könnten die Grünen zur CDU abwandern. Und die Watsche im Land hat dies zumindest taktisch erleichtert: „Wenn es im Abgeordnetenhaus eine rot-grüne Koalition gegeben hätte, wäre es schwieriger gewesen, mit der Union zu reden.“
In allen anderen zehn Bezirken spielt das Modell Rot-Grün keine Rolle. In Friedrichshain-Kreuzberg stellen die Grünen mit Franz Schulz, bisher Baustadtrat, vermutlich den Bürgermeister (siehe Text unten). In Neukölln ist dem Vernehmen nach eine Neuauflage der rot-rot-grünen Zahlgemeinschaft unter SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) wahrscheinlich.