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Archiv-Artikel

Mendener Skelette vermutlich NS-Opfer

In einem Dorf im Sauerland finden Ermittler täglich neue Skelette. Es könnte sich um Opfer von NS-Medizinern handeln

DÜSSELDORF taz ■ Seit einer Woche steigt die Zahl: Allein gestern wurden bei der Suche nach einem Massengrab aus der Zeit des Nationalsozialismus wieder neun Skelette auf einem Friedhof im sauerländischen Menden geborgen. Insgesamt seien damit schon 60 Leichen entdeckt worden, sagte ein Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg. Bei 22 der Toten handele es sich um Kinder, manche nur ein Jahr alt.

Die Leichen waren nur knapp einen Meter unter der Grasnarbe des katholischen Friedhofes Menden-Barge verscharrt. Dies sei „keine reguläre Bestattungstiefe“, sagte Peter Bülter vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge. Für ihn ein Hin- weis darauf, dass es sich bei den geborgenen Toten um Opfer der NS-Diktatur handelt.

Berichten aus der Bevölkerung zufolge sollen in der Umgebung des Friedhofes insgesamt 200 Leichen liegen. Laut dem Sprecher der Bezirksregierung erzählten Zeitzeugen, sie hätten beobachtet, wie gegen Kriegsende Menschen „in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ verscharrt worden seien.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Dortmund könnte es sich bei den Toten um Opfer der sogenannten „Aktion Brandt“ handeln. Die nach Karl Brandt, dem Leibarzt von Hitler, benannte „Aktion“ gilt als Nachfolge des NS-Euthanasieprogrammes. „Mehrere Umstände sprechen dafür“, erklärte Christoph Göke von der Staatsanwaltschaft.

Nahe liegend ist, dass die Toten aus einem Krankenhaus im benachbarten Wickede-Wimbern auf den Friedhof transportiert wurden. Das Krankenhaus wurde auf Veranlassung Brandts als so genanntes Ausweichkrankenhaus eingerichtet. „Hier kamen die hin, die man damals als ‚lebensunwertes Leben‘ bezeichnete“, sagt Bülter.

Ein Pathologe aus Düsseldorf soll nun für mehr Klarheit in den Ermittlungen sorgen: Der Spezialist soll aus den Skeletten Rückschlüsse auf die Todesursache – Gift- oder Medikamentenreste – ziehen. Er wird auch DNA-Proben nehmen. Polizei und Staatsanwaltschaft durchforsten derweil Archive, vernehmen Zeitzeugen, analysieren Luftaufnahmen: „Der Fall hat höchste Priorität“, versichert die Staatsanwaltschaft.

Schon jetzt deutet einiges darauf hin, dass die geborgenen Kinder keines natürlichen Todes starben. Ihre Leichen lagen kreuz und quer durcheinander, so Bülter. An drei Kinderskeletten seien Verformungen zu sehen, die auf eine geistige Behinderung hinweisen. „Zwei Kinder hatten das Down-Syndrom, eines einen Wasserkopf“, berichtet Bülter. Die Skelette der Erwachsenen weisen Amputationsspuren auf; außerdem wurden in den Gräbern Verbandsmaterial, eine OP-Klammer und Infusionsflaschen gefunden. „Wir vermuten, dass sie dort von NS-Leuten umgebracht worden sind“, sagt auch der Sprecher der Bezirksregierung.

Wenn alle Ermittlungen abgeschlossen sind, sollten die Toten ein würdevolles Grab auf dem Mendener Friedhof erhalten, kündigte Pfarrer Johannes Hammerer an. Mit einem christlichen Begräbnis, vielleicht auch einem Denkmal, das an die Opfer erinnert. ANNE HERRBERG