: berliner szenen Die Slapsticknummer
Pfirsich, weich
Edeka in der Pannierstraße. Der Mann an der Kasse hat sein Obst nicht abgewogen und tut jetzt überrascht. Dabei stehen überall fette rote Nummern an den Kisten. Hat der Mann gedacht, die Zahlen stünden nur zur Zier da und ansonsten bedeuten sie gar nichts? Hat er das, der dumme Mann? Wahrscheinlich. Jetzt denkt er es jedenfalls nicht mehr. Denn die Verkäuferin hat ihn zurück zum Wiegen geschickt. „Schnell“, schließlich hat sie seine ersten Artikel bereits eingetippt und hinter ihm wartet eine lange Schlange. Alles ist blockiert. Er ist schuld.
Der Mann beeilt sich. Er huscht an den Pfirsichen vorbei und an den Bananen. Auf einmal kann er sich die Zahlen merken, auf einmal bedeuten sie was – warum nicht gleich, Mann? Er wiegt die Bananen ab, versieht sie mit einem Etikett, danach die Tüte mit den Pfirsichen. Um den Rückweg zur Kasse abzukürzen, versucht der große Mann im Spagat das Drehkreuz in der falschen Richtung zu übersteigen. Er überdehnt sich ein wenig. „Aua“, ruft der Mann, die Tüte mit den Pfirsichen beginnt zu reißen, der erste fällt auf den Boden; er schwingt das zweite Bein nach, der zweite Pfirsich folgt dem ersten, der dritte, der letzte.
Alle warten. Hektisch sammelt er die Pfirsiche wieder ein, will sie offenbar in dieselbe Tüte tun, dieselben Pfirsiche, sonst stimmt das Etikett nicht mehr, sonst muss er sie noch einmal abwiegen. Die Tüte ist kaputt. Die Pfirsiche purzeln erneut. Einer kullert unter eine Palette Katzenstreu. Der Mann robbt auf dem Boden, angelt nach der Frucht, vergeblich. Eine Slapsticknummer, über die keiner lacht. Eisig starren sie ihn an, während er in einer neuen Tüte neue Pfirsiche abwiegt und zur Kasse trägt. Schweiß netzt die Stirn. Es ist meine. ULI HANNEMANN