: „Deutschland braucht die Atomkraft“
Ökoenergien könnten die Atomkraft noch nicht ersetzen, warnt Fritz Vahrenholt, Chef des Windkraftunternehmens Repower. Vor dem Energigipfel am Montag plädiert er für längere Reaktorlaufzeiten. Denn sonst sei der Klimawandel nicht zu stoppen
INTERVIEW THORSTEN DENKLER
taz: Herr Vahrenholt, Windenergie und Atomkraft, wie passt das zusammen?
Fritz Vahrenholt: Es passt insofern, als dass wir alle Energieträger in Deutschland brauchen, die CO2-frei sind und nicht importiert werden müssen. Der Exportanteil bei Uran ist gering und bei Windkraft gleich null.
Am Montag trifft sich CSU-Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Chefs der Energiekonzerne. Heißt ihr Tipp: Atomkraft und Windenergie gleichsetzen?
Nein, sie wirken natürlich völlig unterschiedlich auf die Stromversorgung. Die Windenergie kommt für Mittel- und Spitzenlast in Frage, die Kernenergie für die Grundlast.
Warum liegt Ihnen als Windradbauer die Atomkraft so am Herzen, dass sie längere Laufzeiten fordern?
Wir stehen vor unglaublichen Verwerfungen der Energiemärkte. Gleichzeitig wird Jahr für Jahr deutlicher, welche katastrophale Folgen der Klimawandel haben wird. Wir brauchen deshalb Zeit, um unsere Energieversorgung anzupassen.
Was soll in der Zeit geschehen, die Sie gewinnen wollen?
Da geht es um eine breite Offensive zur Energieeffizienz, es geht um die Vervielfachung unserer erneuerbaren Energiequellen, es geht um CO2-freie Nutzung unserer heimischen Kohle. Wenn man das alles machen muss und will, dann kann man nicht in dem gleichen Zeitraum einen der wichtigsten Energieträger vorzeitig vom Netz nehmen. Kernkraft hat immerhin für ein Drittel der Stromversorgung zu sorgen.
Warum nicht Atomkraft abschalten und sofort in erneuerbare Energien investieren?
Wind und Sonne haben einen Nachteil: Sie sind noch nicht verlässlich genug, solange Speichertechnologien noch nicht wettbewerbsfähig sind. Der Preis des Windstroms ist schon weitgehend wettbewerbsfähig. Sonnenstrom ist noch bei weitem zu teuer. Auch da wird es Entwicklungen geben. Aber dass der Preis von heute 50 Cent pro Kilowattstunde auf 7 bis 8 sinkt, werden wir in den nächsten zwanzig Jahren nicht erleben. Um den Verlust der Kernkraft auszugleichen, werden wir also für viel Geld Kraftwerke auf Gasbasis bauen müssen. Diese machen uns noch abhängiger. Das Geld könnten wir in erneuerbare Energien investieren, wenn die AKWs länger liefen.
Sie unterschätzen die Bedeutung Ihrer Windräder?
Nein. Ich bin durchaus optimistisch, dass wir bis zum Jahr 2050 die Hälfte unserer Energieversorgung mit erneuerbaren Energieträgern bewältigen können. Aber selbst dann ist die Frage: Was machen wir mit den anderen 50 Prozent? Ohne Kernenergie und Kohle wird das nicht gehen. Seien wir ein wenig gelassener, was die Atomkraft angeht. Die Schweden haben die Laufzeiten von 40 auf 50 Jahre verlängert, in den Niederlanden wird ähnlich gedacht.
Trotz der jüngsten Panne in einem schwedischen AKW?
Wenn unsere Kernkraftwerke nicht sicher sind, müssten sie sofort stillgelegt werden. Die deutschen Aufsichtsbehörden sagen aber, sie sind sicher. Wenn das so ist, dann frage ich mich, warum sie nicht für weitere 8, 10 oder 12 Jahre sicher sein sollen? Der Fall Schweden hat doch auch gezeigt, das selbst ein ähnliches und auch ähnlich altes Kraftwerk wie das in Brunsbüttel einen bei weitem höheren Sicherheitsstandard hat als das schwedische.
Was ist Ihnen lieber: eine Tonne Atommüll oder eine Tonne Kohlendioxid?
Beide erzeugen Risiken unterschiedlicher Art. Nehmen wir den Atommüll. Eine Verkürzung der Reaktorlaufzeiten löst doch das Problem nicht, ein Endlager zu bauen. Das brauchen wir sowieso für den Müll, der bereits vorhanden ist. Es macht doch herzlich wenig aus, ob ich in Gorleben ein paar abgebrannte Brennelemente mehr oder weniger verwahre.
Sie wollen die heutigen Probleme in die Zukunft verlagern?
Wir haben alle über Jahre den Vorteil der Kernenergie genossen, nämlich preiswert Strom zu konsumieren. Das Gleiche gilt für preiswert Kohle verbrennen und preiswert Auto fahren. Die Folgen dieses Konsums werden unsere Kinder und Kindeskinder auszubaden haben.
Und die Atomrisiken?
Der Unterschied ist: Wenn wir noch mehr CO2 produzieren, weiß ich heute genau, was passiert. Der Verlust von 50 Prozent aller Pflanzenarten wird noch zu den Kleinigkeiten gehören. Bei Atommüll aber haben wir die Chance, dass bei sicherer Lagerung auch nachfolgende Generationen keinen Risiken ausgesetzt sind.