piwik no script img

Archiv-Artikel

In Ominösien ist nichts in Ordnung

NATIONALISMUS Die Nation ist hart wie Marmor, und Erdogan hat immer recht. Der türkische Schriftsteller Murat Uyurkulak stellte im Rahmen des türkischen Literaturfestivals Dildile im Roten Salon seinen Roman „Glut“ vor

Glücklich ist Uyurkulak nicht. Nach den türkischen Kommunalwahlen von vergangener Woche habe er drei Tage durchgesoffen, seinen Twitteraccount abgestellt und beinahe seine Tastatur mit einem Benzinzippo verbrannt

VON DORIS AKRAP

Ein Berliner Taxifahrer macht das Radio aus, nachdem der Nachrichtensprecher verkündet hat, dass der türkische Ministerpräsident Erdogan YouTube gesperrt hat. Er sagt: „Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann mein Radio einfach so abschalten. Aber Erdogan kann YouTube nicht einfach so abschalten. Dazu braucht es einen Gerichtsbeschluss, und also wird bei YouTube schon irgendwas nicht in Ordnung sein.“

Dass in der Türkei schon länger irgendwas nicht in Ordnung ist, zeigt die Gezi-Bewegung seit letzten Sommer. Die Mehrheit der wählenden Türken aber glaubt wahrscheinlich der irren Erklärung des Berliner Taxifahrers und würde am liebsten die Gezi-Bewegung abschalten: Nicht in der Türkei ist irgendwas nicht in Ordnung, sondern das Internet ist nicht in Ordnung, die Gezi-Bewegung ist nicht in Ordnung, Europa ist nicht in Ordnung.

Auch der türkische Schriftsteller Murat Uyurkulak ist nicht in Ordnung. Sein Roman „Glut“, den er am Samstag im Rahmen des türkischen Literaturfestivals Dildile im Roten Salon der Volksbühne vorstellte, ist eine Fantasy Novel. Sie erzählt von einem Land namens „Ominösien“, das sich am Rande einer Apokalypse bewegt, deren Figuren „13“, „Muster“, „Nudelholz“ oder „Hackenmann“ heißen und in dem es an allen Ecken und Enden gefährlich brodelt. Unschwer zu erkennen, handelt es bei „Ominösien“ um die Türkei. Was da glüht, sind die hysterischen Nationalisierungsversuche, die von der Vernichtung der Armenier, der Vertreibung der Griechen und dem Antisemitismus schweigen und den Feldzug gegen die Kurden nur vorläufig eingestellt haben.

Dass Uyurkulak allegorisch und nicht realistisch schreibt, hat literarische, aber auch politische Gründe, erzählt er im Roten Salon. Seine Romane werden vor Drucklegung immer von einem Anwalt gelesen. In seinem ersten Roman „Zorn“ entdeckte dieser 17 und in „Glut“ immerhin 37 „gefährliche“ Kapitel. Veröffentlicht hat Uyurkulak sie trotzdem. Bislang hatte er Glück. Anders als Orhan Pamuk, Elif Shafak oder Hrant Dink wurde er nicht wegen des Paragrafen 301, wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt.

Glücklich ist Uyurkulak allerdings nicht. Eher verzweifelt. Nachdem in der vergangenen Woche die Ergebnisse der türkischen Kommunalwahlen bekannt gegeben wurden, habe er drei Tage durchgesoffen, seinen Twitteraccount abgestellt und beinahe seine Tastatur mit einem Benzinzippo verbrannt. Was soll man noch anschreiben gegen so viel Borniertheit, die einem derart lächerlichen Ministerpräsidenten ihr Vertrauen schenkt? Von dem Faschisten Alparslan Türkes stammt das in der Türkei berühmt-berüchtigte Zitat, dass die Türkei kein kulturelles Mosaik sei, sondern Marmor. Noch immer würde in der Türkei verleugnet und verdrängt, dass die Nation aus vielen verschiedenen Kulturen bestehe, meint Uyurkulak, der in seinem Roman von der „marmornen Unsplitterbarkeit von Territorium und Nation“ spricht. Würde nicht mehr verdrängt und vergessen, sondern erinnert, heißt es in „Glut“, würden die Schwelbrände in Ominösien endlich explodieren. Die Aufstand der Gezi-Bewegung war so eine Explosion.

Im Mai erscheint in Uyurkulaks deutschem Verlag Binooki eine Anthologie zur Gezi-Bewegung, in der türkische Schriftsteller und Schriftstellerinnen eine erste literarische Verarbeitung der Proteste veröffentlichen. Auch Murat Uyurkulak ist darin mit einer Kurzgeschichte vertreten. Welche Allegorien, Parabeln und Metaphern dieser explosive Autor sich für die Gezi-Detonation ausgedacht hat, wird hochspannend sein.

■ Im Rahmen von Dildile widmet sich der heutige Abend im Roten Salon der Volksbühne unter dem Titel „Tschador“ dem „unsichtbaren Bestandteil der mediterranen Kultur“. Mit Joumana Haddad (Libanon) und Murathan Mungan (Türkei). Weitere Termine unter www.dildile-literaturfestival.com