: Sprachzwang in der Kita erzürnt Experten
Wissenschaftler kritisieren den Beschluss des hessischen Dietzenbach, eine Deutschpflicht in Kitas zu verordnen, als „absurd“. Preisgekrönte Modellprojekte beziehen die Muttersprache sogar aktiv mit ein. Bundespolitiker erklären sich für nicht zuständig
VON DANIEL SCHULZ
Von dem Beschluss der hessischen Gemeinde Dietzenbach, Deutsch als Pflichtsprache in Kindertagesstätten einzuführen, haben sich Bildungsexperten gestern bestürzt gezeigt. „Dieser Vorstoß ist absurd“, sagte der Pädagoge Gerd Schäfer von der Universität Köln. Sein Kollege Wassilios Fthenakis spricht von „Erziehungsmethoden vergangener Jahrhunderte“.
Der Stadtrat von Dietzenbach hatte beschlossen, Deutsch als verpflichtende Umgangssprache in den 12 Kitas der Gemeinde einzuführen. Zudem sollen das Porträt des Bundespräsidenten Horst Köhler und die Bundesflagge aufgehängt werden. Fthenakis und Schäfer stören sich vor allem am Druck, der auf die Kleinkinder ausgeübt werden soll. Das behindere die Lust am Deutschlernen, statt sie zu fördern.
Schäfer empfiehlt, lieber Erzieherinnen einzustellen, die den Kindern beim Deutschlernen intensiv zur Seite stehen. „Die Politik muss dieses Feld endlich den Fachleuten überlassen“, sagt Fthenakis. Studien zeigten, dass Kleinkindern keine Sprache mit Zwang beigebracht werden könne. Man solle die Kinder vielmehr in ihren verschiedenen kulturellen Hintergründen bestärken und ihnen auf dieser Grundlage Deutsch beibringen.
Diesen Ansatz verfolgt auch das von der Unternehmensberatung McKinsey ausgezeichnete Projekt „Einstein in der Kita“, das seit einiger Zeit in Stuttgart läuft. Dort versuchen die Erzieherinnen, mit den Eltern bei der Spracherziehung der Kinder zusammenzuarbeiten. Dabei wird die Muttersprache der Kinder aktiv mit einbezogen: Sie singen auf Italienisch oder arbeiten mit arabischen Schriftzeichen.
„Deutsch soll auch in unseren Kitas gesprochen werden, aber das lässt sich nicht verordnen“, sagt Uli Simon vom Stuttgarter Jugendamt. Jede pädagogisch gebildete Erzieherin werde versuchen, mit den Kindern in einen Dialog zu treten. Simon empfiehlt Problemkitas die Einstellung von Honorarkräften, die die Muttersprache auffälliger Kinder verstehen. „Nur so lassen sich Brücken bauen“, sagt Simon und findet den Dietzenbacher Vorstoß „leicht schräg“.
Auch die Hoffnung darauf, dass die Kleinkinder sich für das politische System Deutschlands interessieren, weil Schwarz-Rot-Gold und Köhler an der Wand hängen, wird sich nach Meinung der Experten nicht erfüllen. Solche komplexen Zusammenhänge begriffen Kinder erst in einem späteren Alter, sagt Fthenakis. Und der Kölner Pädagoge Schäfer frotzelt: „Fragen Sie doch mal in der ehemaligen DDR nach, ob das Aufhängen der Honecker-Bilder in den Bildungseinrichtungen die Menschen zu Fans ihres Staates gemacht hat.“
Im Gegensatz zu den Experten halten sich Bundespolitiker mit Statements zurück. Aus dem Familienministerium heißt es, Bildung sei Sache der Länder und Kommunen. Ähnlich äußerte sich auch ein Sprecher des Bundespräsidialamtes: „Jeder kann ein Porträt des Bundespräsidenten aufhängen, darüber haben wir nicht zu entscheiden.“
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