: Dieser Mensch will zu dir
KINO Die Neue Frankfurter Schule schuf in den 1970er Jahren den fiktiven Universalgelehrten Arnold Hau. Das Lichtblick-Kino zeigt nun die anarchisch-komische Werkreihe: „Die Filme der Gruppe Arnold Hau (1970–1981)“
VON JAN SCHEPER
Arnold Hau hat das erste Musikvideo gedreht. Fast zehn Jahre bevor MTV das Format etablierte. „Hier ist ein Mensch“ heißt der cineastische Happen, der 1972 belichtet wurde und den gesäuselten Worten des Wiener Barden Peter Alexander damit Pionierstatus einräumt. In dem vor Altruismus strotzenden Schlager heißt es gleich zu Beginn programmatisch: „Kennst du seinen Namen? Seinen Namen kennst du nicht.“ Ein schlechtes Omen für den Regisseur, denn Arnold Hau ist fast 40 Jahre nach seinem Frühwerk ganz in Vergessenheit geraten.
Aus dem dunklen Schatten der Geschichte taucht Hau nun wieder auf. Dank der Mithilfe des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt a. M. hat das Lichtblick-Kino in Prenzlauer Berg das vollständige filmische Werk wieder ausgegraben und zeigt vom 30. Oktober bis 3. November das Schaffen des Universalgelehrten. Denn Hau war Dichter, Grafiker, Philosoph und Städteplaner, aber vor allem ein kollektives Pseudonym, hinter dem die Köpfe der Neuen Frankfurter Schule stecken: 1966 erschien die fiktive Monografie „Die Wahrheit über Arnold Hau“, herausgegeben von Lützel Jeman, F. W. Bernstein alias Fritz Weigle und F. K. Waechter.
Der Legende nach hatte Hau 1962 seinen literarischen und zeichnerischen Vorlass Jeman in die Hände gedrückt und ihm das Versprechen abgenommen, alles zu vernichten. Dann verschwand der Ausnahmekünstler, aus dem Vorlass schien ein Nachlass zu werden, und Jeman brach sein Wort vier Jahre später mit der genannten Publikation.
Auch Lützel Jeman ist, man ahnt es schon, eines der Pseudonyme des 2006 verstorbenen Dichters Robert Gernhardt, der seit 1964 für die in Frankfurt beheimatete Satirezeitschrift pardon als Redakteur arbeitete. Der Grafiker F. K. Waechter und der Autor F. W. Bernstein, auf den der populäre Sinnspruch aus der Hau-Monografie „Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche“ zurückgeht, gehörten ebenfalls zum Stammpersonal von pardon. Flaggschiff der drei Satiriker wird die Nonsenskolumne „Welt im Spiegel“.
Das 1961 von den Verlegern Hans A. Nickel und Rudolf Bärmeier gegründete Blatt erreichte zwischenzeitlich eine Auflage von weit über 300.000 Exemplaren. Man gewann im Laufe der Jahre namhafte Autoren für die Mitarbeit wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass oder auch Günter Wallraff. Zu den beschäftigten Grafikern zählte unter anderen Hans Traxler. Im Laufe der Jahre wurden die Bonner Republik und ihre Bürger genüsslich auseinandergenommen, und gezielte Aktionen führten zu allerlei Aufsehen.
Ein Dauerbrenner war die Privatfehde mit CSU-Chef Franz Josef Strauß. 1971 schied Rudolf Bärmeier aus. Es folgten später Gernhardt, Waechter und Bernstein, die sich gemeinsam mit Traxler und anderen zur Neuen Frankfurter Schule, kurz NFS, gruppierten. Mit ihr tauchte auch der verschollen geglaubte Arnold Hau wieder auf – diesmal als Filmemacher, nicht minder produktiv. 1979 gründeten die Mitglieder der NFS die Satirezeitschrift Titanic.
Von 1971 bis 1981 entstanden, von anarchischer Eitelkeit und perfider Komik getragen, zahlreiche Kurzfilme wie „Der Bayerische Wald mit den Augen eines Arschfickers gesehen“ oder der tragische Animationsfilm „Milchkännchen und Fischstäbchen in der Arktis“ sowie der Langfilm „Das Casanova-Projekt“. Adolf Edel mimt hier den Gigolo auf sehr eigenwillige Weise. Edel machte später im Zuge des Neuen Deutschen Films Karriere. Seine parodistischen Wurzeln liegen jedoch in der Zusammenarbeit mit der NFS.
1974 verkörpert er Arnold Hau selbst in der „Hau-Schau“ und scheitert mit dem Versuch, „die Herrlichkeit des Zooms“ mit einem zweigeteilten Schokokeks zu erklären. Auch der Versuch, die Bibel mit einem Produktionsetat von 250 D-Mark zu verfilmen, ist wenig erfolgreich, aber in seinem Dilettantismus von solch bizarrer Komik, dass jedes Filmlexikon eigentlich die Definition des Begriffs „Trash“ um eine dementsprechende Fußnote erweitern müsste.
Die „Hau-Coop“, die hinter alldem steckt und neben Gernhardt, Waechter und Bernstein/Weigle noch die Mitglieder Arend Agthe und Bernd Eilert zählte, hat in jedem Fall ebenso Süffisantes wie Sehenswertes geschaffen, auch wenn die Produktionen fraglos nicht jeden begeistern dürften. Die Komik ist speziell und verursacht ein filmisches Reibungsmoment zwischen Sinn und Unsinn, das gefallen kann, aber nicht muss, sicherlich aber mittlerweile die Qualität eines erwähnenswerten Medienphänomens der 1970er Jahre hat. Ein seltenes Erlebnis sind die Low-Budget-Produktionen in jedem Fall.
Hansi Oostinga jedenfalls, der die Reihe für das Lichtblick-Kino veranstaltet und auch die Idee zur Umsetzung hatte, findet die Filme „erfrischend“. Am Premierenabend am 30. November sind zusätzlich Arend Agthe und Bern Eilert als Abgesandte der „Hau-Coop“ dabei, um bis dato Unbekanntes über Arnold Hau zu enthüllen. Ganz im Sinne von Peter Alexander, der einst so schön sang: „Hier ist ein Mensch, der will zu dir.“
■ Filmreihe im Lichtblick, 30. 10. bis 3. 11. www.lichtblick-kino.org