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Archiv-Artikel

Trudelnd, wie von Fremdenergie bewegt

TANZTHEATER Geld verschwindet, Körper verschwenden sich: „Protect me“ von Falk Richter und Anouk van Dijk in der Schaubühne Berlin

In beiden Stücken gibt es großartige Momente von Welterklärung, Erkenntnisblitze

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Alles schlingert, die Körper, die Gedanken, der Text. Männer und Frauen greifen einer nach der anderen eines der vielen über die Bühne verstreuten Mikros, holen Luft, setzen an und sacken, noch bevor das erste Wort heraus ist, in die Knie. Sie biegen sich rückwärts, brechen mit geradezu leidenschaftlicher Eleganz zusammen und schieben sich auf den Schultern wieder weg aus der Sprecherposition. So beginnt „Protect me“, das dritte Stück, das Falk Richter, Autor und Regisseur, zusammen mit der Choreografin Anouk van Dijk und fünf Schauspielern und vier Tänzern an der Schaubühne Berlin entwickelt hat: Immer wieder Anlauf nehmen und wie ein großes Fragezeichen im Raum vergehen.

Der Text, der dann doch schließlich kommt, entspinnt sich aus einer Suche nach dem Stück und seinem Titel, der eine Richtung, einen Auftrag vorgeben könnte. Alles, was wir zu hören bekommen, sind optionale Entwürfe, so schnell, wie sie entstanden sind, wieder weggewischt. Wenn das Stück zum Beispiel „Revolutionäre Energien“ hieße, könnte es von dem Tag erzählen, an dem „diese gedemütigte Praktikantenfresse keinen Bock mehr hat“ und mit anderen „diese ganze verlogene Werbescheiße“ von den Plakatwänden reißt. Oder wenn dieses Stück „Cum till you die fucker“ heißen würde, wären aggressive revolutionäre Frauen die Protagonisten, die alle diese Fondsberater und Bankmanager ficken, bis sie an Herzinfarkt sterben.

Rachefantasie und Panik

Aber mitten in diesen Rachefantasien holen den Autor auf der Bühne, dem alle SchauspielerInnen und TänzerInnen Stimme und Körper leihen, Angstattacken ein. Er sucht sich im Spiegel und kann sich nicht finden. Er besucht seinen Vater, der auf der Intensivstation an Schläuchen angeschlossen liegt und den seine eigenen Angstträume zurück in den Zweiten Weltkrieg führen. Derweil werden kleine Kabinen, verglasten Käfigen ähnlich, auf die spärlich beleuchtete Bühne geschoben, und die Teilnehmer dieser Expedition ohne Kompass stellen sich darin aus als verführerische Ware und hospitalisierte Objekte. Sie gehen die Wände hoch, schaukeln wie Affen unter der Decke. Und sie inspizieren den eigenen Körper, detailliert und wiederholt, als ob dort drin etwas Fremdes und Feindliches leben könnte.

Text und Körpersprache gehen in dieser Gemeinschaftsarbeit von Falk Richter und Anouk van Dijk eine äußerst sinnstiftende Alliance ein, weniger illustrierend, als vielmehr mit ähnlichen Konstellationen arbeitend. Ob die Figuren nach innen oder nach außen vorstoßen, in jeder Richtung entzieht sich ihnen das Eigentliche, der Kern, von dem man ausgehen könnte, der Feind, gegen den man kämpfen könnte.

Versagen weitergeben

In den Texten von Falk Richter verbindet sich dabei die öffentliche Krise mit der privaten, das Versagen der Politik vor den Finanzsystemen mit dem Versagen des Autors, auf diesem politischen Feld etwas auszurichten. Die Körper schießen dabei über den Boden, erst lang und gespannt, dann zusammengekugelt und trudelnd, wie von Fremdenergie bewegte Dinge.

Stark sind Richters Texte vor allem dort, wo das Subjekt unter dem Verlust seiner Autonomie leidet und dies zusammengebunden wird mit dem Verschwinden von Verantwortlichen im Wirtschaftssektor. Mit Genuss am Satirischen malt Richter, wie in früheren Texten auch, absurde Situationen einer Gesellschaft aus, die alles delegiert und auslagert, ihre Verantwortung, ihre Gefühle, schließlich selbst den Alltag. Einmal ist es die Praktikantin Claudia, der die Chefin immer mehr Stellvertretungen ihrer selbst aufbürdet, auch beim Exmann, beim Sport und in der Therapie; dann ist es ein Wut-Seminar, das um das Weihnachtsgeld gebrachte Angestellte eines Drogeriemarkts absolvieren müssen, um ihre Wut von sich abzuspalten.

Produktivität der Krise

All diese Themen haben Richter und van Dijk auch schon in ihrem letzten Stück „Trust“ bearbeitet; „Protect me“ ist dazu eher eine Variation als eine Weiterentwicklung. In beiden Stücken gibt es großartige Momente von Welterklärung, Erkenntnisblitze; dass von ihnen nur Rauch bleibt und das Lachen der sich gut unterhaltenden Zuschauer, darüber hat sich die Traurigkeit des Autors womöglich vergrößert. Dennoch bringt das Nachdenken der beiden über die Eigenschaften der Krise so viele Geschichten und Formen hervor, dass nur eine Frage bleibt: Was machen sie bloß ohne sie?