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Archiv-Artikel

„Ein Pyrrhussieg für Sarkozy“

FRANKREICH Präsident Sarkozy stolpert bei der kommenden Wahl über die Rentenreform, wenn die Linke nicht alles falsch macht, meint der Abgeordnete Moscovici

Pierre Moscovici

■ ist in der Nationalversammlung sozialistischer Abgeordneter des ostfranzösischen Departements Doubs. Der 53-Jährige war von 1997 bis 2002 Europaminister in der Linksregierung von Lionel Jospin.

INTERVIEW RUDOLF BALMER

taz: Herr Moscovici, noch scheint der Konflikt um die Rentenreform mit der Verabschiedung der Gesetzesvorlage durch das Parlament nicht ganz zu Ende zu sein. Können Sie trotzdem schon eine Bilanz ziehen?

Pierre Moscovici: Es handelt sich um eine Bewegung von einem Ausmaß und einer Bedeutung, wie wir dies seit vielen Jahren in Frankreich nicht mehr erlebt haben. Die Auseinandersetzung ist beendet, sie wird vielleicht in anderer Form als bisher fortgesetzt werden. Denn es ist eine Revolte gegen die Ungerechtigkeit.

Die Regierung sagt: „Gesetz ist jetzt Gesetz, alle müssen das akzeptieren.“ Gilt das auch für die Opposition?

Die Regierung hat ihre Vorlage in der Abstimmung durchgesetzt, das war von vornherein klar, aber sie hat das ohne Verhandlungen und ohne Einigung mit den Gewerkschaften und gegen den Widerstand der Opposition gemacht. Alle sind im Prinzip für eine Reform. Es hätte durchaus eine breit abgestimmte und abgestützte Reform werden können, aber die Regierung wollte das nicht. Es handelt sich nun also im besten Fall für Präsident Sarkozy um einen Pyrrhussieg, der für ihn noch lange einen bitteren Nachgeschmack behalten wird.

Geht dagegen Ihrer Meinung nach die linke Opposition (Sozialistische Partei), die mit den Gewerkschaften diese Reform bis zum Schluss bekämpft hat, zumindest als moralischer Sieger aus diesem Konflikt hervor?

Auf jeden Fall werden sich die Franzosen daran erinnern, dass die Opposition und namentlich die Sozialistische Partei in dieser Bewegung an der Seite der Gewerkschaften eine nützliche Rolle gespielt hat. Und sie hat im Parlament diese Vorlage ganz entschieden bekämpft. Dies auf konstruktive Weise, denn wir haben konkrete Vorschläge für eine Alternative gemacht.

Die sozialistische Parteichefin Martine Aubry hat angekündigt, dass die Linke im Fall ihrer Rückkehr an die Regierung das Pensionierungsalter wieder auf 60 Jahre senken werde. Ist das realistisch?

Nach dem Votum im Parlament haben wir zunächst eine Verfassungsklage eingereicht. Aber wird gehen davon aus, dass die wesentlichen Punkte der gesetzlichen Regelung nach dem Entscheid des Verfassungsgerichts in Kraft gesetzt werden. Wir wissen aber auch, dass bereits eine neuer Termin bevorsteht, die Präsidentschaftswahl von 2012. Die Sozialisten verpflichten sich im Programm für 2012, das Rentenalter auf 60 Jahre zu senken. Nicht mit einer Vollrente für alle, aber zumindest für jene, welche mit 60 über die nötigen Beitragsjahre verfügen.

Wird es Sarkozy bei diesen Wahlen teuer bezahlen, dass er sich gegen die Volksmeinung durchgesetzt hat? Oder wird man ihn eher als starken Mann bewundern, der es wagte, gegen den Strom zu schwimmen?

Das Volk akzeptiert zwar eine Führung und Änderungen, aber es will, dass man diese erklärt. Das Volk akzeptiert es jedoch nicht, wenn Reformen auf brutale Weise erzwungen werden. Darum werden die Französinnen und Franzosen dem Präsidenten seine Vorgehensweise übel nehmen. Er geht allein schon wegen seines Stils geschwächt und diskreditiert aus dieser Konfrontation hervor. Um es deutlicher zu sagen: Nicolas Sarkozy kann die Wahlen von 2012 nicht mehr gewinnen, die Linke dagegen kann sie noch verlieren, wenn sie nicht fähig ist, ein glaubwürdiges Projekt anzubieten. Der Präsident aber hat definitiv das Vertrauen des Volks verloren.

Sehen Sie das wirklich so kategorisch?

Es gibt etwas, das Nicolas Sarkozy offenbar nicht verstanden hat. Nämlich dass die Bevölkerung auf die Staatsführung sehr wütend ist, weil sie das Gefühl hat, dass sie übergangen und mit Verachtung behandelt wurde. Das ist eine soziale Wut, die anhalten wird wie die Folge einer Verletzung.

Was in dem Konflikt ganz offensichtlich nicht funktioniert hat, war der soziale Dialog. Wie gedenken die Sozialisten dies künftig zu verbessern?

Wir müssen unsere Vorschläge dazu in globaler Weise konkretisieren und ausarbeiten. Im Bereich der Ideen für die Rentenreform, glaube ich, waren wir insgesamt doch sehr überzeugend in dieser Debatte. Unsere Vorschläge waren kohärent, solide und gerecht. Darum wird die Linke gegen einen Präsidenten gewinnen, der sich vom Volk abgesondert hat. Aber aufgepasst: Nicolas Sarkozy ist ein politischer Kämpfer, und eine Wahl ist für die Bürger immer ein Vergleich. Und falls wir nicht fähig sind, die besseren Ideen zu präsentieren, könnte er einigen als geringeres Übel erscheinen. Darum hüten wir uns zu sagen, dass wir jetzt schon gewonnen hätten.