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Archiv-Artikel

Die beiden Enden des Protests

FLÜCHTLINGE Die einen sind glücklich, nicht mehr auf dem Oranienplatz campen zu müssen; die anderen treten dort in den Hungerstreik. Der Wortführer der einen ist Bashir Zaharia, die Vorkämpferin der anderen Napuli Langa. Zwei Porträts

Der bullig wirkende Nigerianer kann organisieren, er kann Menschen hinter sich vereinen

VON PLUTONIA PLARRE

Napuli Langa sitzt seit zwei Tagen auf dem Oranienplatz im Baum. Eingewickelt in einen weißen Schlafsack, der mit roten Rosen bedruckt ist, hockt die Sudanerin rittlings auf dem Ast einer mächtigen Plantane. Am Dienstag, als der Nigerianer Bashir Zaharia und andere Flüchtlinge begannen, die Zelte und Hütten einzureißen, sind die 26-Jährige und einige andere aus Protest gegen die Räumung des Camps in den Baum geklettert.

Inzwischen ist Donnerstag. Die Mitstreiter haben längst aufgegeben. Nicht so Langa. Die schlanke Frau mit schmalen Hangelenken wie ein Kind hat einen eisernen Willen. Die Polizei erlaubt nicht, dass sie zu essen oder zu trinken bekommt, solange sie oben im Baum sitzt. Sie aber werde erst runterkommen, wenn sie mit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) gesprochen habe, ruft Langa herunter. Gegen die Vereinbarung mit dem Senat seien das Infozelt und das Zirkuszelt – der Treffpunkt der Flüchtlinge – abgerissen worden.

Auf der anderen Seite des Oranienplatzes bekräftigt eine Gruppe von Unterstützern die Forderung mit einem Hungerstreik. „We are here! We will fight!“, ruft Langa ihnen vom Baum zu und reckt die Faust.

Die Suanderin war lange Zeit das Gesicht des Flüchtlingsprotests auf dem Oranienplatz. Ähnlich wie der Nigerianer Bashir Zaharia. Aber die beiden sind Antipoden: Sie verkörpern zwei sehr unterschiedliche Seiten der Bewegung. Langa ist 2012 aus dem Sudan nach Deutschland geflohen. Im Flüchtlingsheim Braunschweig – „im Lager“, wie sie sagt – hat sie sich dem „Movement“ angeschlossen und kam darüber nach Berlin. Die „Asylumseekers“ – also die aus den „Lagern“ kommenden Asylbewerber – sehen sich als politischer als die Lampedusa-Flüchtlinge, zu denen Zaharia gehört. Ihre Forderungen nach Abschaffung der Lager und der Abschiebungen sind radikaler; sie richten sich gegen Grundlagen der deutschen Flüchtlingspolitik. Deswegen sympathisieren die Autonomen so stark mit den Asylumseekers.

Sie ist die Tochter eines Ministers, hat Langa der taz erzählt. Sie wuchs in einem NGO-Umfeld auf, dort sei es immer um Menschenrechte gegangen sei. Doch ihr Vater geriet in Konflikt mit Regierung und Opposition, deswegen ist sie geflohen.

Leute vom Oranienplatz sagen, Langa sei immer viel gereist und habe Politik gemacht. Auf dem Platz gewohnt habe sie nur sporadisch. Dennoch war sie im letzten Jahr Ansprechpartnerin der Finanzgruppe und gehörte somit zu dem kleinen Personkreis, der im Besitz der Bankkarte für das Spendenkonto war. Für 11.000 Euro Barabhebungen fehlen die Belege (taz berichtete).

Sie selbst soll sich einmal als Kriegerin bezeichnet haben, sagen Mitstreiter. Im Krieg sei alles erlaubt. Gegen Langa wird ermittelt, weil sie bei einer BVG-Kontrolle einen Polizisten gebissen und um sich getreten haben soll. Nach ihrer Festnahme erhob Langa den Vorwurf, in Polizeigewahrsam schwer misshandelt und beleidigt worden zu sein. Es überrascht daher wenig, dass sie auf dem Baum bleiben will, „bis ich sterbe“ – oder Senatorin Kolat kommt. Die Polizei hat unter der Plantane Matrazen ausgelegt, zur Sicherheit, falls sie abstürzt.

Wahre politische „Refugees“ sind für Langa nur jene, die für die Forderungen der Bewegung einstehen und sich vom Staat nicht kaufen lassen. Dennoch sei sie nicht sauer auf Bashir Zaharia, ruft sie vom Baum: Der sei auch nur ein vom Senat betrogenes Opfer.

VON MARINA MAI

Als Bashir Zaharia mit bayerischer Trachtenjacke und Aktenordner auf dem Oranienplatz von Frau zu Mann zog und um die Unterschrift unter den Vertrag mit Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) warb, wirkte er wie ein Diplomat. Doch der Nigerianer kann auch anders: Als am Dienstag das Camp geräumt wurde, prügelte er sich mit Landsleuten, die ihr Zelt oder ihre Hütte nicht verlassen wollten. Er drohte mit dem Hammer in der Hand, er gab das Kommando, die Bauwerke gewaltsam einzureißen. Die Trachtenjacke trug er auch da.

Der Nigerianer Zaharia ist um die 40 Jahre alt und gelernter Schweißer. Er hat lange in Libyen gearbeitet, wo er zur wohlhabenden Mittelschicht zählte, im eigenen Haus wohnte, eine Firma mit Angestellten hatte.

Doch der Krieg in Libyen veränderte alles. Seine Frau verlor er in den Wirren des Bürgerkriegs aus den Augen. Mit seinen beiden Kindern konnte er sich auf ein Flüchtlingsschiff nach Europa retten. Kurz vor der Mittelmeerinsel Lampedusa kenterte das völlig überfüllte Schiff. 650 Menschen ertranken, auch Zaharias Kinder. Diese Bilder, sagt er, werden ihn immer verfolgen.

In Italien kam Zaharia ins Asylverfahren. Doch wie viele gehörte er zu den Opfern des Streits zwischen dem Mittelmeerstaat und dem Rest Europas über die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Dublinverträge sehen vor, dass der europäische Staat, den ein Flüchtling als erster erreicht, ihn aufnehmen muss. Italien wehrt sich dagegen und schickt darum viele Flüchtlinge weiter nach Mitteleuropa – wohl wissend, dass sie dort die Obdachlosigkeit erwartet. So auch Bashir Zaharia.

Nachdem er sich einige Monate lang durchgeschlagen hatte, kam er im Februar 2013 auf den Kreuzberger Oranienplatz, als einer der ersten Lampedusa-Flüchtlinge dort. Das Leben im Zelt, zwischen Ratten und ohne Perspektive, war keines, das er akzeptieren wollte.

Der bullig wirkende Nigerianer kann organisieren, er kann Menschen hinter sich vereinen. „Unser Chef“ wurde er von zahlreichen Oranienplatzbesetzern genannt, die eine Perspektive für sich suchten. Die hoch politisierten Flüchtlinge hingegen, die auf den Platz gezogen waren, um gegen die deutschen Asylgesetze zu kämpfen, begegneten ihm vielfach mit Verachtung. Deren Anliegen, die Residenzpflicht und Lager abzuschaffen, ist aus Sicht des statuslosen Nigerianers ein Luxusproblem.

Bashir Zaharia war es, der letzten Herbst mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) den Umzug vieler Flüchtlinge in das Caritas-Heim in Wedding managte. Bei den Verhandlungen mit Senatorin Kolat war er einer von acht Verhandlern. Er traute ihr. Und er machte sich zum Sprecher der Flüchtlinge, erklärte, bis zu 90 Prozent der Betroffenen würden hinter dem Senatsangebot stehen. Ob er damit richtigliegt, ist schwer nachprüfbar.

Als das RBB-Magazin „Klartext“ vor zehn Tagen eine Sendung über den Oranienplatz zeigte, war Zaharia in einer Auseinandersetzung mit dem linken Aktivisten Dirk Stegemann zu sehen. Der lehnte den Senatsvorschlag ab, weil die Perspektive für die Flüchtlinge unklar bleibt. „Hör zu“, fuhr ihm Zaharia über den Mund. „Wir wollen hier nicht länger wie die Esel leben, wir brauchen eine Veränderung! Wir sind in Deutschland, weil wir Hilfe brauchen – und nicht, um Politikspiele zu spielen!“