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Archiv-Artikel

Gesunde Geräusche

Reduktion auf das Allernötigste: Nicht nur, wenn es um Gesang geht, weiß Luomo, wie das geht. Auf der neuen Platte „Paper Tigers“ erkundet er seine Liebe zum Soul. Ein Porträt des finnischen Musikers

VON THOMAS WINKLER

Seit vier Monaten hat Sasu Ripatti nun keine Musik mehr gemacht. Vier Monate blieb die Tastatur unberührt, die Computer im Tiefschlaf, vier Monate ohne Clicks oder Cuts, ohne seltsame Geräusche und warme Töne. Die macht jetzt jemand anders, die Töne, die Geräusche: Seit vier Monaten ist Sasu Ripatti Vater. Das Töchterchen, sagt er, sei „die beste Produktion, die mir jemals gelungen ist“.

Womöglich nicht ganz so gelungen, für eine Schallplatte aber gar nicht mal schlecht, ist „Paper Tigers“, das neue Album von Ripatti, das er kurz vor der Geburt der Tochter fertiggestellt hat und nun als Luomo veröffentlicht. Luomo ist bei weitem nicht das einzige Pseudonym, unter dem man den seit fünf Jahren in Berlin lebenden Finnen kennen könnte: auch als Sistol, Uusitalo, Luukas Onnekas oder Conoco firmiert er. Und nicht zuletzt: als Vladislav Delay. Mit dessen Dub-beeinflussten Techno-Tracks ist Ripatti vor mittlerweile sieben Jahren zu einer Ikone der elektronischen Musik geworden.

In seinem kleinen Heimstudio in Prenzlauer Berg hat Ripatti für „Paper Tigers“ wieder Schicht auf Schicht gebaut, doch grundsätzlich legt er großen Wert darauf, dass das Endergebnis „nicht zu überladen“ klingt – ein Gegenentwurf zum Bombast aktueller Produktionen, die das Radio beherrschen und den Hörer geradezu niederwalzen. Stattdessen wollte er mehr Dynamik, einen geradezu klassischen Wechsel der Intensitäten und Lautstärken. „Die Menschlichkeit wieder zurückbringen in die Musik“, lautet sein Ziel, und das möchte er – hier benutzt der sonst Englisch sprechende Finne tatsächlich das deutsche Wort – mit möglichst wenig von dem „Schnickschnack“ erreichen, den moderne, große Studios im Überfluss bieten. Denn Musik, so Ripatti, „muss Raum lassen für Fantasie“.

Entstanden sind so fein ziselierte Tracks, denen man auch ohne viel Hall anhört, dass sie einiges vom Dub gelernt haben. Ripatti meint, sie würden seiner Mutter genauso gefallen wie Ellen Alien. Clubmusik ist das also nur noch manchmal, aber dafür wird einem beim Hören bisweilen unheimlich – dann nämlich, wenn die Musik wie selbstverständlich gleichzeitig maschinenkalt und wundervoll warm klingt, zugleich üppig und reduziert. So kehrt Luomo mit „Paper Tigers“ auch zurück zu seinen frühen, nach dem maximalen Effekt im Minimalen suchenden Produktionen als Vladislav Delay.

„Paper Tigers“ schließt gewissermaßen eine Trilogie ab: Der zuvor vor allem mit eher minimalistischen Dancefloor-Erkundungen bekannt gewordene Ripatti wollte als Luomo seine Liebe zur Popmusik erforschen. Nach House auf dem ersten Album „Vocalcity“ (2000) und Funk auf „The Present Lover“ (2003) hat er sich nun am Schwerpunkt Soul abgearbeitet. Natürlich sucht man schwergewichtig röhrende Diven trotzdem vergeblich. Den Gesang, dessen Großteil die in Finnland recht bekannte Jazz-Sängerin Johanna Iivanainen beigesteuert hat, hat Ripatti im Verlauf des endlosen Schraubens an den Tracks wieder aufs Allernötigste reduziert. Es ist eine Auseinandersetzung mit seinen Einflüssen, denn „sicherlich“, sagt er, „bin ich beeinflusst von Soul und Jazz“.

Jazz prägte ihn schon früh: Bereits als Fünfjähriger lauschte er Miles Davis, den die Eltern im beschaulichen Oulu regelmäßig auflegten. Später lernt er Schlagzeug spielen, mit 16 Jahren geht er nach Helsinki und beginnt, von Studio-Jobs und Auftritten mit verschiedenen Bands zu leben. Schnell jedoch wird ihm klar, dass der geliebte Jazz nicht existenzsichernd sein wird. Stattdessen entdeckt er sein Talent für Clubmusik und hat – auch wenn er „aus Respekt vor den alten Sachen“ niemals Jazz sampelt – schnell Erfolg. „Ich war eigentlich nie der große Tänzer“, erklärt er. „Ich bin eigentlich nur in Clubs gegangen, um dort aufzulegen.“

Das Dasein als international gefragter DJ und als Produzent, der so besessen an seinen Tracks schraubt, dass er häufig kaum noch schläft und noch weniger isst, fordert schon früh seinen Tribut: Mit 25 Jahren, nach mehreren Herzanfällen, musste Sasu Ripatti seinen großen Muskel sechs Stunden lang operieren lassen. „Eine Warnung“, sagt der schmale Mann, der vor kurzem 31 Jahre alt geworden ist. Heute, versichert er, habe er die Drogen entschieden besser unter Kontrolle.

Und auch wenn er gerade das neue Luomo-Album herausbringt und sich zusammen mit Antye Greie, der Mutter seiner Tochter, mit der er auch musikalisch schon oft kooperiert hat, wieder in der Vorbereitungsphase eines weiteren Albums des gemeinsamen Projekts AGF/Delay befindet: Sasu Ripatti spürt, dass das Töchterchen ein großer Einschnitt in seinem Leben ist. Eigentlich hatte er sich überhaupt nicht vorstellen können, Vater zu werden. Doch nun schwärmt er begeistert davon, wie „süß“ der Nachwuchs ist. So hat er sich fest vorgenommen, die nächsten Jahre mit der Musik etwas kürzer zu treten. „Für einen selbstsüchtigen Menschen wie mich“, sagt Ripatti, „ist so ein Kind ziemlich gesund.“

Luomo: „Paper Tigers“ (Huume/Alive)