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Archiv-Artikel

Die Justiz im Nacken – Rechercheure in Angst

TAGUNG Wie man sich gegen die Einschränkung der Pressefreiheit wehrt, wurde in Dortmund diskutiert

Viele Journalisten haben weder Zeit für ordentliche Recherchen noch Rückendeckung von der Redaktion

„Vielleicht liegt es ja an Dortmund“, raunt jemand am Buffet. „Wenn es doch in Köln gewesen wäre“, erwidert ein anderer. „Vielleicht ist das Thema zu schwer“, mutmaßt ein Dritter. Es geht um die Fachtagung des Netzwerks Recherche vom vergangenen Wochenende, für die sich nur 50 Teilnehmer angemeldet hatten. Ungewöhnlich wenig im Vergleich zu den sonst überlaufenen Kongressen des Vereins.

Das Thema war alles andere als leicht: „Grauzone Presserecht: Rechercheure zwischen Freiheit und Gängelung“. Drei Tage lang wurde über Berichterstattung und ihre Grenzen diskutiert. Dabei zeigte sich, dass die Angst vor juristischen Konsequenzen viele Journalisten hemmt.

Positives gab es dennoch zur Eröffnung am Freitagabend – Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP) pries die Initiative „Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit“ an. Dies soll noch dieses Jahr im Bundestag beschlossen werden – und Journalisten vor dem Strafbestand der Beihilfe zum Geheimnisverrat schützen. Grundlage ist der sogenannte Cicero-Fall von 2005, bei dem Journalisten aus vertraulichen Akten zitiert hatten, woraufhin ihre Redaktions- und Privaträume durchsucht wurden. Zwar waren sich alle Teilnehmer einig, dass das neue Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung wäre. Es habe aber Lücken. So könnten Journalisten immer noch der Anstiftung zum Geheimnisverrat angeklagt werden.

Highlight der Tagung war ein Vortrag von dem WDR-Redakteur Gert Monheim, dem freien Autor Ingolf Gritschneder und dem stellvertretenden WDR-Justiziar Stephan Michelfelder. Diese zeigten Ausschnitte des Films „Milliarden-Monopoly III – Neue Spuren im Kölner Messeskandal“. Es geht um einen Korruptionsverdacht. Juristisch schwierig, denn schnell begibt man sich in den Bereich von Tatsachenbehauptungen, mit denen man sich strafbar machen kann. Für Autor Gritschneder war es eine Zerreißprobe: „Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, weil ich über Formulierungen gegrübelt habe.“ Was zur Folge hatte, dass Justiziar Michelfelder nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Dramaturgie des Films änderte, um dem Verdacht tendenziöser Berichterstattung entgegenzuwirken. Redakteur Monheim betont immer wieder: „Das Risiko kann man aber nie ganz ausschließen.“ Und: „Journalisten sind in ihrem Alltag erheblich eingeschüchtert.“

Diese Unsicherheit machte sich auch während der Gespräche in den Pausen bemerkbar. Nicht alle freien Autoren könnten sich darauf verlassen, dass ihr Verlag oder Sender bei juristischen Streitigkeiten hinter ihnen stehe, so eine Teilnehmerin. Auch stünden Journalisten oft unter so großem Druck, dass man schlicht keine Zeit habe, alles juristisch zu prüfen. Und der Publizist und Jurist Martin Huff bemängelte, dass Redaktionen ihre Redakteure in Rechtsfragen nicht genug schulen würden. Es brauche viel mehr Tagungen wie diese, um das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Schade nur, dass am zweiten und dritten Tag noch weniger Teilnehmer kamen, als es um das Informationsfreiheitsgesetz, Umweltinformationsgesetz und Landespressegesetze ging – diese Rechte für Journalisten und Bürger gibt es, müssen in der Praxis aber oft genug vor Gericht durchgesetzt werden. Davor scheuen sich viele Journalisten.

Geschlossen wurde die Tagung mit einem Arbeitspapier, welches die Schwachstellen im Presserecht auflistet und 2011 dem Gesetzgeber vorgelegt werden soll. Fazit der Tagung war also, dass die Pressefreiheit immer noch eine Baustelle ist. Die WDR-Justiziarin Michel formulierte es positiv: „Die Mutigeren unter Ihnen haben die Chance, an der Rechtsprechung mitzuwirken.“

DIANA AUST