: Die Kehrseite des Erfolgs
GENTRIFIZIERUNG Seit Berlin die steigenden Mieten zur Kenntnis nimmt, schielt die Politik hinüber zur Elbe: Das wachsende Hamburg hat schon früh neue Instrumente gegen Verdrängung erprobt
VON LENA KAISER (HAMBURG) UND UWE RADA (BERLIN)
Ein solches Bündnis ruft normalerweise zu Demos auf. Doch bei der Pressekonferenz, die mehr als ein Dutzend Berliner stadtpolitischer Initiativen Anfang April einberief, ging es nicht um revolutionäre Forderungen – sondern um Solidarität mit einem Politiker des rot-schwarzen Senats. Kurz zuvor hatte der Berliner SPD-Bausenator seinen Staatsekretär Ephraim Gothe entlassen und die Initiativen damit in Aufregung versetzt.
Um die plötzliche Liebe der Initiativen zu einem geschassten Staatssekretär zu verstehen, muss man wissen, dass sich in Berlin jenseits der Investorenprojekte und schicken Neubaulofts in den vergangenen Jahren eine alternative Szene von Stadtentwicklern herausgebildet hat. Diese inzwischen hoch professionellen Netzwerke haben es sogar geschafft, einen anderen Umgang als bisher mit städtischen Grundstücken durchzusetzen. Statt diese meistbietend zu verkaufen, sollen sie nun in sogenannten Konzeptverfahren vergeben werden. Nicht das Geld entscheidet, sondern die Nutzung. Das schafft zwar noch keine Wohnungen, aber gute Stimmung in der alternativen Szene.
Nun aber ist der Staatssekretär weg, der sich für diesen Umschwung starkgemacht hat – und nicht ganz zu Unrecht fürchten die Stadtinitiativen, dass das Thema Aufwertung und Verdrängung nun auf eine ganz und gar sozialdemokratische Weise gelöst werden soll: bauen, bauen, bauen, so wie es in Hamburg der SPD-Senat unter Olaf Scholz vormacht. In Hamburg drehen sich die Kräne wieder. Die Frage ist nur: für wen?
6.000 neue Wohnungen pro Jahr sollen in der Hansestadt entstehen, so will es der „Pakt für das Wohnen“, den die seit 2011 allein regierende SPD mit der Wohnungswirtschaft geschlossen hat. Dabei hat die SPD inzwischen auch die Leute mit mittleren Einkommen für sich entdeckt: Während in der Hafencity zunächst nur im teuren Segment gebaut wurde, weil die Stadt mit dem Verkauf der Flächen Geld für den Bau eines neuen Containerterminals verdienen wollte, versuchen die Sozialdemokraten jetzt ein wenig gegenzusteuern. Neben den klassischen Sozialwohnungen soll verbilligter Wohnraum für die Mittelschicht entstehen. Auch das macht gute Stimmung.
Wo es bei der Nachfrage eng wird, muss eben das Angebot erweitert werden, heißt der sozialdemokratische Lösungsansatz. Und eng wird es tatsächlich, denn Hamburg wächst rasant. Seit 1990 stieg die Bevölkerung um fast 150.000 Menschen auf aktuell 1,8 Millionen. In 20 Jahren könnten es 2 Millionen sein, prognostizierte Bürgermeister Scholz vor einem Jahr. Ob 6.000 Wohnungen im Jahr da reichen?
Auch Berlin wächst: Im vergangenen Jahr hat die Hauptstadt die 3,5-Millionen-Marke gerissen. Bis 2020 sollen weitere 100.000 Menschen in die Stadt kommen. Berlin, freut sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), sei wieder attraktiv.
Doch die Kehrseite des Erfolgs ist die Verdrängung. Gentrifizierung ist an der Spree ebenso ein Reizthema wie an der Elbe. Seit die Finanz- und Eurokrise das Kapital der Anlieger verstärkt in Betongold fließen lässt, werden ehedem heruntergekommene Innenstadtquartiere schick und damit unbezahlbar. Und die Politik sucht nach neuen Möglichkeiten, wenigstens die schlimmsten Exzesse zu mildern.
Sowohl in Hamburg als auch in Berlin moniert die Opposition immer wieder, dass Wohnungsneubau allein die Probleme nicht löst – vor allem nicht für die unteren Einkommensschichten. Grüne und Linke wollen härtere Regeln gegen Mietsteigerungen im Bestand. Groß ist das Instrumentarium zwar nicht – Mietrecht ist Bundesrecht, also bleiben Stadtstaaten wie Hamburg und Berlin nur wenige Möglichkeiten, den Wohnungsmarkt zu steuern.
Doch bei dem, was geht, hatte Hamburg lange die Nase vorn. Zu einem Kongress des Berliner Senats und der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Zukunft des Wohnens war vor einiger Zeit auch Hamburgs Staatsrat für den Wohnungsbau nach Berlin gekommen, Michael Sachs. Im Gepäck hatte er viele Vorschläge, die für einige Berliner noch reichlich fremd klangen.
Mit einer „Wohnraumschutzinitiative“ sollten Leerstand und Zweckentfremdung bekämpft werden, mit dem „Drittelmix“ verlangt die SPD-Regierung bei Neubauvorhaben, die eine Änderung des Baurechts erfordern, den Investoren ab, wenigstens zu einem Drittel öffentlich geförderte Wohnungen zu bauen. Darüber hinaus wurde durch eine sogenannte Erhaltungsverordnung in Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert. Auch Luxusmodernisierungen sollen verhindert werden.
In Berlin dagegen ist erst mit dem Wechsel von Rot-Rot zu Rot-Schwarz neuer Wind in die Debatte gekommen. Hatte die ehemalige Stadtentwicklungssenatorin lange Zeit behauptet, es gebe wegen der vielen leer stehenden Wohnungen keinen angespannten Wohnungsmarkt, legt sich ihr Nachfolger nun ins Zeug. So wurde dem Phänomen der Ferienwohnungen der Kampf angesagt. Der Kündigungsschutz bei Eigenbedarfsklagen wurde verbessert, und in Prenzlauer Berg und Friedrichshain-Kreuzberg wollen grüne Baustadträte Luxussanierungen erschweren.
Doch ganz hat Berlin den Hamburger Weg noch nicht beschritten. Anders als in Hamburg mit seiner Renaissance des sozialen Wohnungsbaus hat Berlin erst ein Miniprogramm aufgelegt, mit dem 1.000 Wohnungen im Jahr gefördert werden sollen. Und eine „Drittelregelung“ ist in Berlin ebenso wenig unter Dach und Fach wie eine Umwandlungsverordnung. Hier sträubt sich vor allem die mitregierende CDU.
Doch auch an der Elbe ist die Bilanz durchwachsen. Das zeigt das Beispiel der sogenannten Esso-Häuser am Spielbudenplatz in Sankt Pauli. Die Investorengruppe Bayerische Hausbau sollte die heruntergekommenen Wohnblöcke, die Mitte Dezember wegen Einsturzgefahr evakuiert werden mussten, nicht nur durch Luxuswohnungen ersetzen, sondern dort auch Sozialwohnungen bauen. Fünfzig Prozent fordert der Bezirk, der Investor sagt: nicht mehr als ein Drittel. Nun will der Investor mit dem Abriss der 110 Wohnungen beginnen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Der Streit über die Esso-Häuser steht für ein Kräftemessen zwischen Politik und Wirtschaft. Es geht letztlich um die Frage, wer wo für wen bauen darf. Das zeigte sich auch bei der Internationalen Bauausstellung IBA, die 2013 zu Ende ging: Weil Hamburg nördlich der Elbe an seine Grenzen gestoßen ist, hat es die im Süden gelegene Elbinsel mit dem Stadtteil Wilhelmsburg als neuen Aufwertungs- und Wohnungsbaustandort ausgerufen und die Bauausstellung dorthin geholt, der Slogan: „Sprung über die Elbe“.
Doch nicht jeder hat die IBA in guter Erinnerung. Zwar wurden in Wilhelmsburg tatsächlich neue Wohnungen gebaut. Doch auch die Mieten sind kräftig gestiegen. Heute liegt die durchschnittliche Miete bei Neuvermietung bei rund 10 Euro pro Quadratmeter, vor vier Jahren waren es noch 7,50 Euro.
Eine soziale Erhaltensverordnung – das Instrument, mit dem die Yuppisierung von Stadtteilen in Hamburg gebremst werden soll – wurde in Wilhelmsburg abgelehnt. Dafür sei es noch zu früh, so die Begründung. Genau deshalb ist das Instrument der Erhaltensverordnung umstritten: Sie kommt immer erst dann, wenn die Mieten gestiegen sind und die Verdrängung längst läuft.
Dennoch hat die IBA in Hamburg auch dafür gesorgt, dass über den Umgang mit den weniger schicken Quartieren nachgedacht wird. Berlin dagegen hat seine für 2020 geplante IBA zum Thema „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ abgeblasen – aus Geldmangel.