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Archiv-Artikel

Inflagranti & Co

Das hier sollte eine explosive Live-Story aus der Sexhöhle der Pornoindustrie werden. Ich wollte von Bettenfluchten in schummrigem Licht schreiben, von nackten Frauen mit traurigen Augen, von schmierigen Produzenten, die an meinen Kleidern zerren. Und dann so was. Das will doch keiner wissen, dass die Pornofirma Inflagranti aus offenen Büros besteht, dass da nette, angezogene Menschen sitzen, die einem höflich die Hand schütteln und Mineralwasser statt Sekt trinken. Dass Holger Quandt, zuständig für Marketing und Vertrieb, nicht dem Zuhältermilieu entstammt, sondern Kunsthistoriker ist.

Groß wurde Inflagranti 1999 durch „Sex Parade“, gedreht bei der Love Parade und inzwischen 25.000-mal verkauft. Inflagranti produziert ein Black Label, „Die schwarze Flamme“, mit Fetisch- und SM-Filmen. Das läuft sehr gut. Je mehr über Sex gesprochen wird, je mehr bizarre Filme in den Regalen der Videotheken stehen, desto mehr Menschen trauen sich, zu ihrer speziellen Lust zu stehen, vermutet Holger Quandt.

Gut im Geschäft liegt auch die neue Reihe „Popp oder Hopp“: an der Sendung „Glücksrad“ orientierte Filme mit Laien, die auf diesem Wege diverse sexuelle Träume ausleben können. Beliebt sind auch die „Zicken“-Streifen. Eigentlich liegt den Inflagranti-Darstellern das Schauspielern nicht so sehr, aber hier genießen es die Frauen, richtig fies zu sein, auf armen Männern rumzuhacken, um am Ende doch mit ihnen in der Kiste zu landen.

Es gibt zirka zehn große Porno-Vertreiber in Deutschland. Die meisten verscherbeln aber bloß Streifen aus dem Ausland oder kaufen welche von selbstständigen Produzenten auf. So erscheinen pro Monat um die 1.000 neue Filme aus aller Welt in deutschen Videotheken. Inflagranti aber produziert selbst und vertreibt ausschließlich eigene Filme, 72 Stück im Jahr, neunzig Minuten lang. Jeder Film wird in ein bis zwei Tagen gedreht. Holger Quandt würde gerne länger produzieren, mit mehr Geld und mehr Ruhe, sodass eine richtige Geschichte in guten Bildern erzählt werden könnte.

Aber das würde weit mehr kosten und bestenfalls genauso viel einspielen wie die Nummernfilme, die er jetzt macht und in denen keine Story vom Sex ablenkt. Die Konsumenten brauchen wohl immer weniger eine Pseudohandlung. Ein anderer Trend ist die Lust auf Natürlichkeit. Die blondierten Busenwunder haben ihre beste Zeit wohl hinter sich, jetzt wollen Pornofans ganz normale Frauen von nebenan, nett und sympathisch und süß. Und sie wollen am liebsten Szenen, die möglichst echt und uninszeniert wirken sollen. Am beliebtesten sind Partypornos. Filme, die in einem Club gedreht werden, wo unglaublich viele Menschen trinken, tanzen und immer mehr von ihnen Sex haben. So was lässt sich in Deutschland nicht drehen, weil Verträge, HIV- und HCV-Tests von sämtlichen Anwesenden vorliegen müssen. Inflagranti dreht nichts mit Kindern, Tieren, Schwangeren, mit Nazis oder Rechten und nie ohne Gesundheitscheck und Personalausweis. Keiner wird bedrängt oder gezwungen.

Das Schwierige am Genuss von Pornos für nichtprofessionelle Konsumenten ist, dass es so unüberschaubar viele davon gibt, es also wirklich kompliziert ist, eine Auswahl, eine Entscheidung zu treffen. Dem wird jetzt abgeholfen: Zehn große Anbieterfirmen – unter anderem Inflagranti, klar – geben inzwischen das PR-Magazin Stars on Strips heraus, das in den Videotheken ausliegt und dem Verbraucher laut Holger Quandt „eine Schneise ins Dickicht der Produktionen schlägt“. CORNELIA GELLRICH