: Das Prinzip Pralinenkasten
„Hilfe, sehe ich so etwa auch beim Sex aus?“, denken viele ungeübte Pornoseher. Die Antwort lautet: Ja, aber natürlich! Eine Handreichung, wie man sich mit dem genauen Hinsehen anfreundet
Von MANUELA KAY
Porno gucken, aber wie?
Was sind das eigentlich für Leute, die Pornos gucken? Gibt es Menschen, die tatsächlich keine Pornos ansehen? Oder nur viele, die es nicht zugeben? Wahr ist, dass Männer Pornos gucken. Was viele nicht wahrhaben wollen: Auch Frauen gucken Pornos. Denn Pornos werden nicht nur für Männer gemacht. Genau wie auch Sexualität nicht den Männern vorbehalten ist, so ist auch ihre filmische Darstellung nicht einem Geschlecht allein zugedacht. Männer geben allerdings Geld für Sex aus. Das ist nicht hormonell bedingt, sondern liegt in der Erziehung. Frauen sollen das Geld zusammenhalten und nicht für das pure Vergnügen ausgeben.
Frauen wie Eva Herman würden sicher dazu aufrufen, das mühsam verdiente Haushaltsgeld lieber für neue Windeln als für gute Pornos anzulegen. Aber die moderne Frau von heute kann sich glücklicherweise darüber hinwegsetzen sich und fernab romantisch verbrämter Vorstellungen, in denen Sexualität niemals etwas mit Konsum oder gar Kommerzialität zu tun haben darf, auch an einem käuflich zu erwerbenden Produkt bedienen, das einfach zur Steigerung der Lebensfreude gedacht ist und somit natürlich seinen oft nicht geringen Preis hat: dem gemeinen Pornofilm.
Fast ohne Schmuddelfaktor
Die Zeiten muffiger Pornokinos sind vorbei, und auch die Pornofilmindustrie zielt heute mehr auf den Markt des Home-Entertainment als auf die sprichwörtlichen Männer in langen Mänteln, die sich in eine Videokabine in einem Sexmarkt verziehen. Im hellen Ikea-Wohnzimmer konsumiert, verliert eine Porno-DVD beinah jeden Schmuddelaspekt – fast schon ist es schade um das ehemals so tabuisierte Geheime.
Alles also kein Problem mehr – wäre da nicht noch das gute alte Schamgefühl. Und davon tragen Männer wie Frauen, hetero- wie homosexuelle, noch immer jede Menge in sich. Deshalb ist der Schritt zum Pornoseher oder zur Pornoseherin nicht immer einfach. Man muss den inneren prüden Schweinehund gewissermaßen überwinden und die Neugier auf dieses Genre Oberhand gewinnen lassen. Aber auch dann will Porno richtig konsumiert sein, mit der richtigen inneren Haltung gewissermaßen. Man sollte wissen, wie ein Porno funktioniert, um nicht schon am Anfang zu scheitern. Ein häufiger Irrtum ist, dass es sich bei einem Porno um eine Art Spielfilm mit Sex handelt. Handlung, Dialog oder Spannungsbogen sind (glücklicherweise) nur selten Teil von Pornos. Es geht allein um die Darstellung von Sex, oft im luftleeren Raum. Man sollte vorbereitet sein, dass praktisch aus dem Nichts gevögelt wird.
Wenn man zum ersten Mal ein Musical sieht, ist man vielleicht auch verwundert, warum die Darsteller mittendrin anfangen zu singen, und fragt sich, wo mitten auf der Straße plötzlich die Musik herkommt. Doch man gewöhnt sich daran. Auch muss man einen Porno, zumindest wenn man ihn daheim anschaut, nicht wie einen Spielfilm von Anfang bis Ende sehen. Man wählt seine Lieblingsstellen aus und überspringt den Rest, verfährt also nach dem Pralinenkasten-Prinzip.
Vor allem jedoch muss der Schock darüber überwunden werden, wie Sex eigentlich aussieht. Den meisten Menschen, die erstmals Pornos sehen, steht nur eine Frage in ihre weit aufgerissenen Augen geschrieben: Sehe ich dabei auch so aus? Die Antwort ist einfach. Ja!
Nicht unbedingt genau wie die eine oder andere mit Silikon unterfütterte Pornodarstellerin, aber im Prinzip sieht eine Vagina, in die ein Penis eindringt, meist so aus, wie es im Porno gezeigt wird. Wahlweise kann dies auch ein Penis sein, der in einen Arsch dringt, oder ein Finger in der Vagina und so weiter.
„Queer“ Porno gucken
Um die Sprache des Pornos zu lernen und sich langsam an das Genre heranzutasten, empfiehlt sich „queer Porno sehen“, also gegengeschlechtlich und überkreuz. Heteromänner gucken Lesbenpornos, Heterofrauen gucken Schwulenpornos, Lesben gucken Schwulenpornos, und nur Schwule gucken meist ausschließlich Schwulenpornos. Das nimmt den ersten Schrecken der Wahrnehmung „So was mache ich nicht, so sehe ich nicht dabei aus“. Stimmt ja auch, wenn man sich als Mann Sex ganz ohne Männer ansieht oder als Frau Männer beim Sex.
Die so genannte Lesbennummer ist ja sowieso ein Klassiker im Heteroporno. Ursprünglich verwendet, um bestimmte Zensurbestimmungen zu umgehen, die das Zeigen von Erektionen und bestimmten Formen der Penetration verboten, hat die lesbische Sexszene einen unverrückbaren Platz im Heteroporno gefunden. Zumeist ist das dort Gezeigte für lesbische Frauen lächerlich, unauthentisch und zu harmlos, aber gerade wegen seiner Softheit bei Heteromännern beliebt. Waghalsige Theorien gehen so weit, zu behaupten, diese Szenen böten manchen Männern die Gelegenheit, sich in Abwesenheit von Schwänzen in die Frauen und in ein ganz und gar schwanzloses Miteinander hineinzufantasieren. Ärgerlich ist natürlich, dass diese oft in Unkenntnis aller tatsächlichen lesbischen Umgangsweisen produzierten Szenen in der Heterowelt für ein völlig falsches Bild lesbischer Sexualität sorgten.
Heterofrauen wiederum finden oftmals Gefallen an Schwulenpornos. Denn hier können sie sich fernab jedweder dummer Frauenklischees, wippender Titten und dummer Blondchen in High Heels an gut gebauten Männerkörpern und meist riesigen Penissen erfreuen. Der Schock über das Aussehen von Vaginas oder über quiekende Frauen beim Orgasmus entfällt. In der Fantasie mal ganz männlich zur Sache zu gehen eröffnet der weiblichen Zuschauerin jede Menge Raum.
Auch für lesbische Frauen sind Schwulenpornos attraktiv. Für viele sogar mehr als Lesbenpornos. Der Zwang zum Identifizieren mit dem Gezeigten entfällt und man muss auch niemanden im Besonderen scharf finden, um sich angesprochen zu fühlen. Für Lesben kann ein schwuler Porno wie ein Tierfilm sowohl biologische wie anthropologische Neugier stillen und zugleich Raum für schwule Fantasien bieten. Keine verzärtelten Frauen, deren Erregung viel schwerer zu sehen ist als beim eregierten Penis, sondern knallhartes Geficke, das kann entspannt betrachtet werden.
Allein schwule Männer scheinen nie etwas anderes zu sehen als nur schwule Pornos. Das liegt zum einen daran, dass dies wohl die am besten gemachten Pornos sind und dass Schwule von allen Menschen den meisten öffentlichen Sex haben und somit genau wissen, wie sie und andere dabei aussehen. Schwule sind schamloser und selbstbewusster. So werden sie auch im Porno dargestellt und sehen sich das auch gerne an. Die schwule sexuelle Souveränität ist es auch, die Frauen – egal ob homo oder hetero – so am Schwulenporno anzieht.
Interessant ist übrigens, dass es im heterosexuellen Porno zwar jede Form von Gruppensex gibt und wie gesagt auch viele lesbische Szenen; Sex zwischen Männern sucht man im Heteroporno allerdings vergebens. Oft zum Verdruss der Frauen, die sich, wie bereits beschrieben, gern an diesen Szenen ergötzen. Aber Männer, die es mit Männern treiben, scheinen einigen Bisex-Pornos vorbehalten zu sein und dem schwulen Genre. Etwas mehr Flexibilität würde die Welt hier doch viel bunter machen.
Plausibilität ist Geschmackssache
Eine Besonderheit weiblicher Zuschauerinnen im Allgemeinen und lesbischer im Besonderen ist übrigens das Bedürfnis nach Plausibilität. Während im Heteroporno der Klempner vom Klingeln bis zum Akt schlappe 30 Sekunden braucht, gibt es in Pornos für weibliches Publikum eine sehr viel längere Annäherungszeit und Einleitungsphase. Frauen möchten wissen, woher die Beteiligten sich kennen und ob sie auch wirklich aufeinander abfahren. Da muss sich kennen gelernt werden und geflirtet, die näheren Umstände müssen geklärt werden. Vor allem in Lesbenpornos ist oft zu beobachten, dass beinahe eine Spielfilmhandlung bemüht wird, nur um dem Publikum zu versichern, dass die Akteurinnen sich auch wirklich liebhaben. Männer finden dies anscheinend verzichtbar. Hier herrscht eine größere Selbstverständlichkeit im Umgang mit Sex, die keiner Geschichte drum herum bedarf.
Hat ein Pornoneuling nun erst einmal die Pornosprache zu lesen gelernt, schwule, lesbische und Heteropornos angesehen und sich seine persönlichen Favoriten ausgesucht, steht dem geschmacklich individuell gestalteten Pornokonsum nichts mehr im Wege. Der kann übrigens auch so aussehen, dass man entscheidet, gar keine Pornografie zu mögen oder zumindest nicht von ihr erregt zu werden. Was allerdings viel seltener der Fall ist, als man von sich selber annimmt. Und im günstigsten Fall sieht man einen Porno, denkt: „Sehe ich so etwa beim Sex aus?“, und kommt zu dem Schluss: „Ja, und es sieht gut aus!“