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Archiv-Artikel

Ein Film der Dinge und der Seele

RETROSPEKTIVE Schönheit steckt im Unsagbaren, das Bilder auslösen: Im Arsenal laufen die Werke von Robert Bresson. So wie Dostojewski der russische Roman sei, sei er das französische Kino, sagte Kollege Godard

Lange blieb Bresson in seiner asketischen Suche nach Wahrhaftigkeit die Anerkennung versagt

VON HELMUT MERKER

Zur höheren Ehre Gottes, möglicherweise, könnte „Journal d’un curé de campagne“ gedreht worden sein; später heißt ein Film „Le diable probablement“, und schon der Titel des ersten Films bringt die Gegensätze zusammen: „Les anges du péché“ („Engel der Sünde“). Jeanne d’Arc wird als Werkzeug des Teufels der Prozess gemacht, weil sie sich auf die himmlischen Mächte beruft. In „Lancelot du Lac“ mündet die Suche nach dem heiligen Gral in einem höllischen Schlachtfeld. In „L’Argent“ fällt der Satz: „Oh Geld, sichtbarer Gott, wozu verleitest du uns?“ Die Antwort ist: Das Geld verleitet einen jungen Menschen zum Mord.

Die Geste ist ihm alles

Der Antagonismus von Himmel und Hölle hat bei Robert Bresson eine besondere Bewandtnis. Zwei Hinweise auf seine Ästhetik gibt es in „Quatre nuits d’un rêveur“. Einmal mit dem Konzept eines Malers: „Wichtig sind nicht der Maler und sein Motiv, sondern die Geste, die die Gegenwärtigkeit des Objekts aufhebt und durch den Raum dazwischen bestimmt.“ Dann mit der Szene, in der der „Purist“ Bresson zeigt, dass er auch ganz anders kann: Marthe sitzt mit ihrer Mutter im Kino und schaut, wie auf der Leinwand wild geschossen, blutig gestorben und unter dramatischer Musikbegleitung ein letzter Kuss auf das Foto eines Mädchens gedrückt wird. „Wir sind in eine Falle geraten,“ sagt Marthe und verlässt mit ihrer Mutter das Kino. Genau dieses Kino der Effekte ist es, was Bresson scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Für ihn ist der Kinofilm nur abfotografiertes Theater mit inszenierter Schauspielerei und reproduzierender Kamera, das auf die kalkulierten Zuschauerreaktionen lauert. Dagegen sieht er den Kinematografenfilm als die wahre „siebte Kunst“, als Entdeckungsreise auf einem unbekannten Planeten mit der Kamera als Apparatur der Erforschung, mit Zuschauern, die bereit zu neuen Erfahrungen sind. „Filme sind nicht dazu da, das Leben zu kopieren, es geht nicht um die Schönheit, die in den Bildern ist, sondern in dem Unsagbaren, das sie auslösen.“ Nach „Les dames du Bois de Boulogne“ arbeitet er kaum noch mit Schauspielern, weil diese „theatralisch“ die Innenwelt einer Figur mit ihren Geheimnissen nach außen stülpten. An ihrer Stelle setzt er Laiendarsteller ein, seine „Modelle“. Sie spielen, sie spiegeln nichts vor. Sie sind uneitel und „unschuldig“ – wie die Tiere: die Pferde in „Lancelot du Lac“, der Esel in „Au hasard Balthazar“. Anne Wiazemsky, Dominique Sanda, Isabelle Weingarten haben als Bressons Modelle begonnen und später als Schauspielerinnen weitergearbeitet.

Zum Beispiel Jeanne d’Arc. Die Starparade der Titelheldinnen einerseits – Maria Falconetti, Ingrid Bergman, Jean Seberg, Sandrine Bonnaire, Milla Jovovich in Filmen voller Emotion und Aktion, Effekte und Schauwerte – und Florence Carrez in Bressons Film andererseits, der ausdrücklich „Procès de Jeanne d’Arc“ heißt: statt Kampf und Verrat, Glück und Passion die präzise Auseinandersetzung mit den originalen Prozessakten, statt Nahaufnahmen des Gesichts der „Heiligen“ nur Objekte, Hände und Füße, Fesseln und Ketten, strenge Halbtotalen des Verhörs, Fragmente der Zelle.

Zum Beispiel „Lancelot du Lac“. Bressons Version der Artus-Sage hat mit dem klassischen Genre des Ritterfilms nichts zu tun. Im Untergang der Legende werden Lanzengänge und Schwertkämpfe zu sinnlosen Ritualen, bleiben von den Helden nur Relikte austauschbarer Blechroboter in rostendem Metall.

Zum Beispiel „Un condamné à mort s’est échappé“. Die Handlung ist schon im Titel zusammengefasst, Bresson interessiert sich für den Handelnden. Minuziös hält er sich an die Aufzeichnungen eines Leutnants der Résistance in einem Nazigefängnis, ohne sensationelle, dramatische Zuspitzungen. Wie öffnet man Handschellen, wie schleift man einen Löffel, wie lockert man Bohlen der Tür, wie richtet man sich in einer Zelle ein? „Was mir vorschwebt, ist gleichzeitig ein Film der Dinge und der Seele. Das heißt, dass ich versuchen will, die Seele durch die Dinge sichtbar zu machen.“

Sein letztes Meisterwerk „L’Argent“ ist ein Musterbeispiel für Bressons Kunst, das Wesentliche bei äußerster Reduktion der filmischen Mittel durch Ellipsen und einen speziellen Zusammenhang zwischen Bildern und Tönen auszudrücken: „Bild und Ton sollen sich nicht gegenseitig unterstützen, sondern sich abwechseln, gewissermaßen Schicht arbeiten.“

So geschieht der erste Mord beim Blick auf die Leuchtschrift des Hôtel moderne und dem Umschnitt auf die Treppe im Inneren, dabei mündet der Straßenlärm in eine unheimliche Stille. 1983 gewann er damit in Cannes die Goldene Palme, ansonsten blieb ihm in seiner minimalistischen asketischen Suche nach einer neuen Wahrhaftigkeit lange die Anerkennung versagt. Seine Werke entstanden in großen Abständen. Es sind 13 Filme in 40 Jahren, ein eher schmales Werk, dafür aber einzigartig. Jean-Luc Godard hat es so zusammengefasst: „Er ist das französische Kino wie Dostojewski der russische Roman, wie Mozart die deutsche Musik.“

■ Bis 7. Mai im Kino Arsenal. Programm unter www.arsenal- berlin.de