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Archiv-Artikel

Fleisch für den Westen, Hunger im Süden

ERNÄHRUNG Der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, fordert zum Ende seiner Amtszeit höhere Steuern auf tierische Produkte. Zu viel Getreide werde an Tiere verfüttert

BERLIN taz | Die reichen Nationen sind zum Teil schuld daran, dass noch immer Millionen von Menschen hungern müssen. „Über ein Drittel des weltweiten Getreides wird bereits als Tierfutter eingesetzt“, klagt Olivier De Schutter, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung. „Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden es im Jahr 2050 etwa 50 Prozent sein.“ De Schutter fordert daher, dass der Staat eingreift, um den Fleischkonsum in den reichen Ländern zu bremsen. „Dies könnte zum Beispiel über veränderte Steuern und Agrarsubventionen gehen.“

De Schutter ist seit sechs Jahren UN-Sonderbeauftragter. Da sein Mandat am 30. April endet, hat er dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) in Genf seinen Schlussbericht vorgelegt. Obwohl er sich um einen positiven Ausblick bemüht, ist sein Urteil über die derzeitige Situation und den Trend eindeutig: verheerend.

Wenn die reichen Nationen ihren Fleischkonsum nicht einschränken, müsste die jährliche Fleischproduktion bis 2050 auf 470 Millionen Tonnen zunehmen, um den prognostizierten Bedarf zu decken – dies wäre ein Anstieg um 200 Millionen Tonnen im Vergleich zu den Jahren 2005 bis 2007. „Das ist nicht aufrechtzuerhalten“, sagte De Schutter dem Menschenrechtsrat.

De Schutter bestreitet nicht, dass Fleisch und Milch wichtige Proteinquellen sind. Doch übermäßiger Fleischkonsum macht die Menschen krank. In den reichen Ländern trägt er zu Fettleibigkeit, Typ- 2-Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs bei.

De Schutter kritisiert die Agrarpolitik der vergangenen 50 Jahre. „Die Hoffnung war, dass die sogenannte Grüne Revolution mit Hochertragssorten, Bewässerung, Mechanisierung, Dünger und Pestiziden den Hunger in der Welt besiegen könne. Das hat nicht funktioniert – und die Auswirkungen auf die Umwelt sind katastrophal.“ So hätten sich Monokulturen ausgebreitet und die Vielfalt der Arten reduziert. Der übermäßige Gebrauch von chemischen Düngern habe außerdem Trinkwasser und Meere mit Phosphor verseucht. Etwa 15 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Menschheit stammen aus der Landwirtschaft.

Die Umweltschäden wirken auf die Landwirtschaft zurück. Ihre Erträge werden um 2 Prozent pro Jahrzehnt sinken, prognostiziert De Schutter, falls sich der Trend fortsetzt. In den Entwicklungsländern würden die Ernten bei den wichtigsten Feldfrüchten teils sogar um bis zu 27 Prozent zurückgehen, warnt der UN-Sonderbeauftragte.

De Schutter plädiert deshalb für eine Agrarökologie, die auf Mischkulturen, Kompostdünger und eine Agroforstwirtschaft setzt, bei der Bäume und Nutzpflanzen auf derselben Fläche angebaut werden. Diese Art der Landnutzung wäre nicht nur umweltschonend, sondern auch arbeitsintensiv. Statt Geld für teure Düngemittel auszugeben, würden Menschen vor Ort beschäftigt, sodass sich die arme Landbevölkerung ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften könne – mit einer Vielfalt von Feldfrüchten. Auch die reichen Länder würden von einer Agrarökologie profitieren: Dann läge hier nicht immer nur Fleisch auf den Tellern. ESTHER WIDMANN