Blauer Brief für schlechte Eltern

GESUNDHEIT Wer sein Kind nicht regelmäßig zum Arzt schickt, bekommt mahnende Post von der Charité

Anzeichen für Vernachlässigung und Misshandlung sollen frühzeitig erkannt werden

Ein neues Zentrum der Charité erinnert Eltern künftig per Brief daran, ihre Kinder ärztlich untersuchen zu lassen. „Diese zentrale Stelle ist ein wichtiger Schritt zum Kinderschutz“, sagte Gesundheitssenatorin Katrin Lompsche (Linkspartei). Gemeinsam mit Mitarbeitern des Klinikums stellte sie das System, das seit dem 1. Januar erprobt wird, am Donnerstag vor.

U 1 bis U 9 heißen die Untersuchungen, die in den ersten fünf Lebensjahren des Kindes vorgesehen sind. Die ersten fünf Arztbesuche erfolgen in den Monaten nach der Geburt, danach werden sie etwa einmal jährlich fällig. Doch je älter die Kinder, desto weniger Eltern gehen mit ihnen zum Arzt: Nehmen an der U 3 noch fast 100 Prozent der Kinder teil, sind es bei der U 8, die im Alter von vier Jahren ansteht, nur noch 85,3 Prozent.

Um die fehlenden Kinder zu ermitteln, sind die Ärzte gefragt: Sie melden dem Zentrum der Charité, welche Kinder an den Frühuntersuchungen teilgenommen haben. Dort werden die Daten mit dem Melderegister verglichen und „fehlende“ Kinder identifiziert. Nach einer Toleranzzeit, die je nach Frühuntersuchung zwischen wenigen Tagen und sechs Wochen beträgt, schickt das Zentrum ein Erinnerungsschreiben an die Eltern. Wird die Untersuchung innerhalb von vier Wochen nicht nachgeholt, informiert die Charité den Kinder-und Jugendgesundheitsdienst des jeweiligen Bezirkes. Dieser meldet sich bei den Eltern und kann den Zustand des Kindes bei einem Hausbesuch überprüfen. So sollen Anzeichen für Vernachlässigung und Misshandlung erkannt werden.

Die Arztbesuche sind freiwillig: Anders als in Hessen oder Bayern müssen Eltern ihr Kind in Berlin nicht regelmäßig untersuchen lassen. Der Brief informiert deshalb auch über Sinn und Umfang der Untersuchung: „Die Früherkennungsuntersuchung dient dazu, Entwicklungsstörungen und Krankheitssymptome eines Kindes rechtzeitig zu erkennen“, heißt es darin.

Seit Januar wird das System berlinweit erprobt. 200 Einladungsbriefe musste das Zentrum an der Charité bisher verschicken und 70 Fälle an den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst melden. Ob die Teilnehme an den Untersuchungen durch die Überwachung steigt, lasse sich noch nicht beurteilen, erklärte der Leiter des Zentrums, Oliver Blankenstein.

Senatorin Lompscher hofft, Problemfamilien nun schneller unterstützen zu können. „Es geht nicht darum, die Gesundheitspolizei zu spielen“, so Lompscher. „Wir wollen Familien zur Seite zu stehen.“ ALEXANDRA ROJKOV