: Unterlassene Hilfeleistung
Eine UN-Intervention in Darfur ist das letzte Mittel, um den Völkermord zu stoppen. Einer deutschen Beteiligung sollte sich auch die Linke im Bundestag nicht verschließen
Die Lage in Darfur spitzt sich zu. Seit August nehmen die Luftangriffe der sudanesischen Regierungstruppen im Westen des Landes sowie die Angriffe der von der Regierung unterstützten Janjaweed-Milizen auch auf Zivilisten wieder zu. Aufgrund der wachsenden Gefahr für ihr Personal haben sich die Hilfsorganisationen aus vielen Gebieten zurückgezogen, sodass dort mehr als 300.000 Menschen nicht mehr versorgt werden können.
Bis heute sind je nach Schätzung zwischen 200.000 bis 400.000 Menschen getötet und mehr als ein Drittel der 6 Millionen Einwohner Darfurs vertrieben worden. Deshalb spricht der Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union, Alpha Oumar Konaré, von einem „Konflikt neuer Qualität“, und Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo warnte, dass es sich um eine „einem Völkermord ähnliche Situation“ handele.
Die Fraktion der Vereinten Linken im Europäischen Parlament hat sich gemeinsam mit den anderen Fraktionen für die Entsendung einer robusten UN- Truppe nach Kapitel VII der UN-Charta ausgesprochen. Für die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag verstärkt sich damit der Druck, ebenfalls Position zu beziehen. Bei den letzten Militäreinsätzen mit deutscher Beteiligung fiel eine Ablehnung noch verhältnismäßig leicht: Im Kongo konnte man teilweise in Übereinstimmung mit Vertretern anderer Parteien auf den unklaren, zeitlich und räumlich sehr begrenzten Auftrag verweisen. Im Libanon berief man sich auf die Geschichte und zog den Schluss, dass man sich wegen der historischen Last Deutschlands nicht engagieren könne.
Im Falle Darfurs fällt ein Nein schwer. Man kann eine Ablehnung einer deutschen Beteiligung an UN-Blauhelmmissionen nur zum Preis einer außen- und weitgehend innenpolitischen Isolation haben. Die Linke muss, gerade auch angesichts der deutschen Geschichte und des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, anerkennen, dass es Militärinterventionen gibt, die eine friedenstiftende Funktion haben. Dazu zählt die aktuelle Unmis-Mission im Südsudan ebenso wie die Missionen in Sierra Leone 2002, in Liberia 2003, im Kongo 2003 und in der Côte d’Ivoire 2004 in Afrika. In diesen Fällen ist es gelungen die Logik der Gewalt zu durchbrechen.
In Darfur handelt es sich im Kern um eine historische Auseinandersetzung zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“. Um an der Macht zu bleiben, setzt Khartum seine militärisch-wirtschaftliche Übermacht, die wesentlich auf den Öleinnahmen basiert, gegenüber der Peripherie ein, die eine soziale und wirtschaftliche Vernachlässigung ihrer Region nicht länger hinnehmen will. Nach jahrzehntelangen Bemühungen um eine gewaltlose Konfliktlösung wurde dabei zu den Waffen gegriffen.
Ethnische Differenzen werden in diesem Konflikt geschürt, indem einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt werden. Diese Logik der Gewalt finden wir in vielen Konflikten, ob im Kongo, wo Warlords nur mit nackter Gewalt die Kontrolle über Ressourcen und ihre Herrschaft über Menschen aufrechterhalten können, ob in der Cote d’Ivoire, wo ethnische Identitäten politisiert werden, um die eigenen Pfründen zu sichern.
Eine UN-Militärintervention in Darfur kann und will das Regime in Khartum jedoch nicht zulassen. Sudans Präsident Omar al-Baschir und seinen Gehilfen drohen der totale Machtverlust und die Verfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag; die Anklage könnte auf Völkermord lauten. Der Fall Sudan zeigt, dass die Souveränität eines Landes auch für die Linke keine heilige Kuh sein kann. Khartum hat durch seinen Staatsterrorismus an innerer Legitimation verloren, sodass es nach außen keine volle Souveränität für sich reklamieren kann. Aus dieser Abhängigkeit ergibt sich im modernen Völkerrecht der Vorrang des Menschenrechts auf Leben vor dem Rechtsgut der staatlichen Souveränität (Pesponsibility to Protect) und damit die rechtliche Legitimation der UN-Intervention, wie in UN-Resolution 1706 gefordert.
Das Argument, dass ein UN-Einsatz auf westlichen Wirtschaftsinteressen im Sudan basiere, ist in diesem Fall kaum stichhaltig. In der Tageszeitung junge Welt konnte man lesen, die Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Bau einer Eisenbahnlinie zum Öltransport quer durch den Sudan leite die deutsche Außenpolitik dazu an, den Sudan mittels eines UN-Einsatzes zerschlagen zu wollen. Doch so eine Behauptung kann nicht mal die simpelsten Geister überzeugen: Als ob sich die deutsche Außenpolitik durch ein einzelnes Unternehmen leiten ließe.
Die andauernde Krise in Darfur zeigt vielmehr beispielhaft, wie die unterschiedlichen Interessen der Supermacht USA und der Großmächte Russland und China eine klare Position der internationalen Gemeinschaft verhindern. Washington legte seine Hand auch nach dem 11. September noch lange Zeit schützend über Khartum, da es das sudanesische Regime als Verbündeten im Antiterrorkrieg begriff.
Noch 2005, lange nachdem der frühere US-Außenminister Colin Powell von einem Völkermord im Sudan gesprochen hat, besuchte der sudanesische Sicherheitschef das CIA-Hauptquartier, um Geheimdienstinformationen mit ihm auszutauschen. Und Khartum, dass das Ansinnen der UN-Truppen, zu entsenden, als „Rekolonialisierung“ brandmarkt, war sich lange nicht zu schade, seine Bürger, die unter Terrorverdacht standen, an die USA auszuliefern. Russland wiederum mag das Regime nicht unter Druck setzen, da es an den Sudan Waffen liefert. Und China weigert sich, härter gegen den Sudan vorzugehen, weil es in großen Mengen Öl von dort importiert. Beide Mächte haben sich daher im UN-Sicherheitsrat bei der UN-Resolution 1706 lediglich enthalten.
Deshalb kann und sollte die Linke im Bundestag – wie die Vereinte Europäische Linke im Europäischen Parlament – der UN-Resolution 1706 nur uneingeschränkt zustimmen. Verweigert sie ihre Zustimmung zu einer Entsendung von deutschen Truppen im Rahmen der UN-Mission, isoliert sie sich in Europa und in der Welt. Innenpolitisch hat die Linke derzeit noch Glück, dass die Medien und die Gesellschaft in Deutschland sich des Themas noch kaum angenommen haben. Im Gegensatz dazu fordert in den USA bereits eine breite Koalition von NGOs, im Schulterschluss mit Hollywoodstars wie George Clooney, die eigene Regierung zum raschen Handeln auf.
Wenn dies geschieht, dann wird schnell deutlich werden, dass ein abstrakter Pazifismus nicht weit führt. Ein Beharren auf ausschließlich zivilen Mitteln in einem von Gewalt und Unsicherheit geprägten Gebiet wie Darfur stellt nicht nur eine intellektuelle Dummheit dar, es ist obendrein moralisch falsch. Ein Nein zu einem UN-Einsatz in Darfur wäre eine Verweigerung von internationaler Solidarität, die weder bei Stammwählern noch bei den umworbenen grünen Wählerschichten auf viel Verständnis stoßen dürfte. Ein solches Verhalten wird sich nicht auszahlen. ARMIN OSMANOVIC