„Öffentlichkeit ist der wichtigste Hebel“

Gute Unternehmensführung braucht eine „gewisse Nachdenklichkeit“, meint Gesine Schwan, Schirmherrin für den Preis der Arbeit. Viele Manager erlaubten sich aus Zeitgründen keine Zweifel. Deshalb sei es wichtig, ihr Handeln zu kontrollieren – durch Regeln, aber auch durch Öffentlichkeit

Interwiew BEATE WILLMS

taz: Frau Schwan, was hat Sie bewogen, unter die Minderheitenschützer zu gehen?

Gesine Schwan: Was habe ich getan?

Sie haben die Schirmherrinnenschaft für den Preis der Arbeit übernommen. Gesucht werden Unternehmer, die sich sozial und ökologisch engagieren. Es gibt 70 Vorschläge – ganz schön wenig bei mehr als einer Million Unternehmen in Deutschland.

Ich habe den Eindruck, dass die Unternehmer in Deutschland erst nach und nach anfangen zu begreifen, dass es auch in ihrem Interesse liegt, eine Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Dabei ist diese Erkenntnis keineswegs neu. Die hatte nämlich schon Adam Smith vor über 200 Jahren.

Sie schreiben dem Urvater des freien Marktes hier eine positive Rolle zu?

Immerhin hat er die Grundlagen unseres Wirtschaftens beschrieben. Und ursprünglich war er ja auch Moralphilosoph. Er ging davon aus, dass erfolgreiches Wirtschaften nicht nur auf dem Eigeninteresse aufbauen kann. Unternehmen müssen also begreifen, wie stark ihr betriebswirtschaftlicher Erfolg von den politischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängt. Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen sind nicht nur ein Problem der Politik – obwohl es für ein Unternehmen auf den ersten Blick bequem erscheinen mag, wenn die andere Seite schwach ist und keine Forderungen stellen kann. Manager und Unternehmer müssen ihre professionelle Verantwortung und ihre Verantwortung als Bürger zusammen sehen.

Warum begreifen das heute so wenige Wirtschaftslenker?

Was den Unternehmern und Managern heute oft fehlt, ist der Faktor Zeit. Viele, mit denen ich rede, verweisen immer wieder auf die Quartalsberichte, die die Börse verlangt – und die alles bestimmen. Um ein Unternehmen verantwortlich zu führen, brauchen Sie eine gewisse Nachdenklichkeit. Manches, was auf den ersten Blick ganz fabelhaft aussieht, ist auf den zweiten problematisch. Heute ist es einfacher für die Unternehmenslenker, sich keine Zweifel zu erlauben.

Das Problem ist die wachsende Macht der Finanzmärkte?

Es gibt viele Probleme. Die zunehmende Finanzierung von Investitionen über Kapitalinvestoren ist sicher eins der wichtigeren. Nicht nur weil die längerfristige Gedeihlichkeit des Unternehmens vielfach durch Börsenkriterien torpediert wird. Sondern auch weil diese reinen Geldanleger oft überhaupt keine Verantwortung dafür spüren, dass ein Unternehmen mehr ist als eine Finanzinvestition.

Dabei legen zumindest die Privatanleger Wert auf den guten Ruf eines Unternehmens. Laut einer aktuellen Umfrage von Infratest zählt dazu, dass es sich für Arbeitsplätze in Deutschland verantwortlich fühlt, eine langfristige Strategie hat, für Qualität steht und in die Ausbildung seiner Mitarbeiter investiert.

Sie sagen selbst, das sind die Kriterien der Privatanleger. Aber dieses Ergebnis bestärkt mich auch darin, nicht einfach aufzugeben. Es zeigt, dass es wichtig ist, über Kulturen und Regeln nachzudenken, die ein solches unternehmerisches Über-den-Tellerrand-Gucken unterstützen. Und dabei spielt Öffentlichkeit eine große Rolle.

Was meinen Sie mit „Kulturen und Regeln“?

Ich halte Umweltstandards und Sozialstandards, wie wir sie in Deutschland auch weitgehend gesetzlich festgeschrieben haben, für richtig. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass die hohe Zeit der neoliberalen Ansichten vorbei ist, in der nur der Deregulierung das Wort geredet wurde. Selbst Tony Blair spricht ja inzwischen von „better regulation“ und meint damit nicht mehr nur „weniger Regulierung“. Im internationalen Zusammenhang können sich die Unternehmen die Regeln in Ehtik-Kodizes von mir aus auch selbst geben, es könnten Abmachungen sein, die sich an denen für Antikorruptionsarbeit orientieren.

Und wo bleibt die „Kultur“?

Die letzte Appellationsinstanz für demokratische Prozesse ist die Öffentlichkeit. Sie ist zugleich der größte Hebel. Deswegen werden viele Unternehmen auch sehr vorsichtig, wenn sie beispielsweise von Nichtregierungsorganisationen beobachtet werden, die Vorgänge an die Öffentlichkeit bringen können. Denn dann müssen sie Angst haben, Vertrauen zu verlieren.

Der Preis der Arbeit soll vorbildliche Unternehmen auszeichnen – dafür, dass sie etwas machen, was eigentlich selbstverständlich ist und ihnen auch noch guttut. Wäre es nicht besser, sich die schlimmsten Übeltäter vorzuknöpfen und sie zu brandmarken?

Ich bin immer mehr dafür, positiv zu motivieren als zu bestrafen und zu geißeln – und als Mutter von zwei Kindern bin ich auch ein Fan von kleinen Schritten. Einen Preis der Arbeit zu bekommen, verschafft dem Ausgezeichneten einerseits Befriedigung, weil seine eigenen Ziele und Wertmaßstäbe anerkannt und honoriert werden. Und es sorgt für Öffentlichkeit – im Sinne von Werbung, aber eben auch im Sinne von Kontrolle. So kann eine Preisvergabe auch Raum für Veränderung schaffen. Und außerdem haben Sie mit der positiven Auspreisung womöglich ein ganz anderes Publikum, weil sich auch andere Unternehmen für das Thema interessieren werden.

Um preiswürdig zu sein, müssen Unternehmerinnen und Unternehmer eine ganz Reihe von Kriterien erfüllen: soziale, ökologische, emanzipatorische und demokratische. Klingt nach eierlegender Wollmilchsau. Was halten Sie für das entscheidende Kriterium?

Ein ganz wichtiger Faktor ist Vertrauen. Das Mindeste ist, dass im Unternehmen Menschenrechte, Arbeits- und Umweltstandards und Antikorruptionsregeln eingehalten werden. Dass nicht unnötig Energie verbraucht wird. Und ich muss den Eindruck haben, dass jemand ein Interesse an seinem Unternehmen selbst, an den sozialen Kontexten, der Politik und an den Mitarbeitern hat.

Politisch fühlen sich viele Unternehmenschefs und vor allem die Wirtschaftsverbände doch immer sehr verantwortlich: Regelmäßig fordern sie die Regierungen auf, die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern.

Genau das meine ich. Es wäre viel gewonnen, wenn sie die Politik nicht in erster Linie als Hemmschuh für ihre Gewinne betrachten würden. Ganz wichtig ist für mich zum Beispiel die demokratische Teilhabe der Mitarbeiter, bei der betrieblichen und auch bei der Unternehmensmitbestimmung. Wie soll jemand ein mündiger Bürger – im Sinne eines Citoyen im Gegensatz zu einem Bourgeois – sein, wenn er dort, wo er den größten Teil seiner Zeit verbringt, nicht mitreden darf? Da bin ich ganz traditionelle Sozialdemokratin.

Wenn Sie ein Vetorecht hätten: Gibt es einen Punkt, wo Sie einem Unternehmen den Preis verweigern würden?

Wenn ein Unternehmer oder Manager einmal angefangen hat, sich Gedanken über seine gesellschaftliche Verantwortung oder eine nachhaltiges Unternehmenskultur zu machen, gehe ich davon aus, dass er alle Kriterien mitberücksichtigt. Ich würde niemanden dafür geißeln, wenn er vielleicht noch nicht überall gleich weit ist. Es gibt nur eine Ausnahme: Wenn ich merken würde, dass mit einer Art sozialem oder ökologischem Prestigeprojekt von ganz anderen Unternehmenspraktiken abgelenkt werden soll.

Machen Sie selbst beim Einkaufen auch einen Unterschied zwischen Unternehmen mit gutem und schlechtem Ruf?

Ich muss bekennen, dass ich meine Einkaufstätigkeit in den letzten Jahren auf ein Minimum reduziert habe. Das ist einfach eine Zeitfrage. Wir haben natürlich in der Kaffeeküche Dritte-Welt-Kaffee, und ich kaufe nicht gerade Barsch aus dem Viktoriasee. Aber ob der Fisch, den ich dann kaufe, immer besser ist, weiß ich nicht. Dabei finde ich, dass man da schon konsequent sein sollte.