: „Hier tritt nur auf, wer unsere Ziele teilt“
Erstmals wird es in Hamburg am 9. November zur Erinnerung an die Pogrome von 1938 eine „Nacht der Jugend“ geben. KZ-Überlebende monieren das auch aus Musik und Tanz bestehende Programm. Helmut Hafner, der seit 1998 die Bremer Jugendnacht organisiert, findet den Ansatz richtig
INTERVIEW PETRA SCHELLEN
taz: Herr Hafner, aus welcher Überlegung heraus haben Sie die Bremer „Nacht der Jugend“ konzipiert?
Helmut Hafner: Wir wollten die Jugendlichen bewegen, sich für den Mord an den Juden zu interessieren, die zu den üblichen Gedenkveranstaltungen nicht kommen würden. Es geht darum, das Erinnern zu verbinden mit dem Engagement für eine menschenfreundliche Gegenwart. Und da wir wussten, dass Kultur und Sport zentrale Interessengebiete von Jugendlichen sind, haben wir hier zentrale Schwerpunkte gesehen und uns in diesem Umfeld umgeschaut. Zu einer Nacht der Jugend hatten wir zum Beispiel Cheerleaders eingeladen, die Vize-Weltmeister waren. Ein junger Jude sagte zu mir, eine solche Darbietung an einem Gedenktag finde er unmöglich. Ich habe ihm erklärt, dass sich diese Mädchen mit ihrer Darbietung einreihen wollten in den Kampf gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Und hier liegt die Spannweite unserer Veranstaltung: Jeder, der hier auftritt, tut das, um unsere Ziele – die Bekämpfung von Menschenfeindlichkeit und das Eintreten für Respekt und Anerkennung – zu unterstützen. Wer dies nicht mitträgt, kann nicht auftreten.
Was bietet die Nacht der Jugend konkret?
Das Programm ist vielfältig. Es kommen immer Überlebende, immer Sinti und Roma – auch mit ihrer Musik. Es gibt Theater, Tanz und Diskussionen. In diesem Jahr kommt eine italienische Sängerin, die Widerstandslieder vorträgt. Dass das Ganze eine Gratwanderung ist, wissen wir. Aber in dieser Nacht kommen ungefähr 3.000 Jugendliche ins Rathaus. 500 weitere bereiten die Nacht, die wir im Einklang mit der jüdischen Gemeinde planen, mit vor. Wir plakatieren in der Stadt, in Jugendzentren und Freizeitheimen. Auch viele Schulen sind beteiligt. Jede Nacht der Jugend hat übrigens ihr eigenes Motto. Das diesjährige heißt nach einem Gedicht von Peter Rühmkorf: Bleib erschütterbar und widerstehe!
Dieses Motto steht auch auf dem Plakat?
Ja. Da steht groß „Nacht der Jugend“ und, noch größer, „Bleib erschütterbar und widerstehe!“
Welche Motti gab es in der Vergangenheit?
Eins lautete „Das Recht, anders zu sein – Begegnung mit den Sinti und Roma“. Oder „Ich will dich sehen“ – damit man hin- und nicht wegschaut, wenn rechte Übergriffe passieren. Ein anderes Motto lautete „Respekt“, eines „Menschen, Prädikat wertvoll“.
Die Nacht der Jugend bietet aber auch Tanzveranstaltungen. Verstehen Sie, dass Holocaust-Überlebende dies problematisch finden?
Ja. Aber was in Bremen passiert, ist nicht das Tanzen wie auf einer Party, sondern der Tanz als künstlerische Darbietung. Als Kunstform. Das Bremer Tanztheater tritt zum Beispiel auf. Oder die „Dance 4 live“-Gruppe der Anti-Aids-Bewegung. Aufgrund solcher Darbietungen kommen natürlich auch Jugendliche, die denken, sie seien auf einer Party.
Wie wollen Sie die zum Nachdenken bewegen?
Ganz einfach: Es ist keine Party. Die Jugendlichen merken schnell, dass es keine ist. Da gibt es Ausstellungen zum Holocaust und Fotografien. Außerdem sagt jeder Künstler vor seinem Auftritt, warum er hier ist.
Aber es spielen auch Bands, zu deren Musik man schon tanzen könnte, oder nicht?
Nein, es wird nicht getanzt. Das ist strikt verboten.
Die Organisatoren der Hamburger Nacht der Jugend werben unter anderem mit dem Programmpunkt „Tanz“. Das in großen Lettern präsentierte Motto auf dem Plakat heißt: „Den Soundtrack unserer Welt mixt du“. Wäre solch ein Motto in Bremen denkbar?
Ich weiß nicht genau, welche Idee hinter dem Hamburger Motto steht. Wenn es auf die Übernahme von Verantwortung für Menschenfreundlichkeit zielt, kann man das schon vertreten. Die Hamburger veranstalten diese Nacht ja zum ersten Mal.
Wie waren die Anfänge in Bremen? Gab es da auch ein Motto?
Ja. „Erinnern für eine menschenfreundliche Zukunft.“
Auf dem Plakat war also immer erkennbar, dass es sich um eine Gedenkveranstaltung handelt?
Ja, immer.
Sie sagten eben, eine solche Veranstaltung sei eine Gratwanderung. Was finden Sie persönlich problematisch an dieser Nacht der Jugend?
Problematisch ist, wenn wir Werder-Bremen-Spieler wie Marco Bode einladen und damit Jugendliche anziehen, die sich auf einer Sportveranstaltung wähnen. Abgesehen davon ist es immer ein Sicherheitsrisiko, 3.000 Jugendliche durch das Rathaus zu schleusen. Einmal ist auch eine linke Gruppe, die dies für eine Alibi-Veranstaltung des Senats hielt, mit Trillerpfeifen durch das Rathaus gezogen. Diese Protestler hatten nicht verstanden, dass es keine Senatsveranstaltung war, sondern eine von Jugendlichen organisierte Erinnerungsveranstaltung. Die grundsätzliche Frage ist aber: Kann man Tanz und Kunst mit Erinnern verbinden? Das wird – falls wir die Nacht der Jugend überhaupt weiterführen – schwierig bleiben. Wenn da mal etwas passieren sollte, werden wir es nicht mehr machen können.
Was soll passieren?
Schlägereien oder massive Störungen durch Rechtsradikale.
Gab es da schon Versuche?
Ja. Im letzten Jahr sind einmal namentlich bekannte Neonazis aufgetaucht.
Wie verhindern Sie Neonazi-Pöbeleien?
Die Veranstaltung wird deutlich sichtbar von Polizisten geschützt.
Sie sagten, Tanzen sei während der Nacht der Jugend verboten. Wie setzen Sie das Verbot durch?
Das ist im Rathaus grundsätzlich nicht erlaubt. Außerdem ist es in dieser Nacht so voll, dass es gar keine Tanzfläche gibt.
Glauben Sie, dass die Jugend nur über ein solches Programm für das Gedenken zu erreichen ist?
Nein. Aber ich spüre, dass wir auf diesem Weg mehr Jugendliche erreichen als sonst.
Gab es in Bremen wegen der Nacht der Jugend je Streit wie in Hamburg, wo sich Holocaust-Überlebende über den Tanz beschwert haben?
Nein, nie. Zumal die Veranstaltung von vielen Sponsoren getragen wird. Sie kostet den Staat also wenig Geld.
Wer organisiert die Nacht der Jugend konkret?
Eine offene Gruppe, bestehend aus 30 bis 50 Jugendlichen, die wir über die Schulen ansprechen. Außerdem sind einige Erwachsene aus der Erinnerungskultur dabei. Und ich, als einziger Vertreter des Rathauses. Ab Januar treffen wir uns einmal im Monat, um zunächst ein Motto zu finden. Einige Jugendliche schreiben dann selber Songs oder Hip-Hop-Texte. Und jeder, der unsere Ideen teilt, ist willkommen.
Hamburg: www.rathausnacht.de Bremen: www.nachtderjugend.de