: Tief in der Pampe
Der Regisseur Rodrigo García ist fasziniert von den Prozessen des Produzierens, Konsumierens und Ausscheidens. Das Ergebnis ist beim Festival „Madrid Barcelona: Hoy Espectáculo!“ im HAU zu sehen
VON SIMONE KAEMPF
Wir sind auf der anderen Seite Spaniens. Abseits der elegischen Küste des Mittelmeers. Im harten Hinterland, wo Natur und Existenz aneinandergeraten: kantig, spröde, schroff. Menschen, Bilder und Materialien, das alles mischt sich in den Theaterabenden des in Madrid lebenden Rodrigo García. Dabei geht es weder um surreale Poesie noch um Geheimnisse, wie man es von älteren bildenden Künstlern Spaniens kennt. Statt dessen spielt García mit dem, was er als Ausscheideprodukt eines langen Verwertungsprozesses betrachtet: die Bilder der Medien genauso wie Dosentomaten, Tiefkühlgerichte, Happy Meals oder Rotweintüten, die auf der Bühne im Extremfall ausgedrückt werden wie Farbtuben eines Malers.
Schon wegen des Materialaufwands gilt sein Theater in Madrid selbst immer noch als befremdlich und provokant. Dagegen umwerben Festivals in ganz Europa den 42-Jährigen. So viel Aufmerksamkeit im Ausland wie er hatte lange kein spanischer Regisseur mehr. Der Durchbruch kam vor drei Jahren mit dem Abend „Ich habe einen Spaten bei Ikea gekauft, um mein Grab zu schaufeln“ – ganze Sätze als Titel zu wählen hat in Spanien Tradition. Ansonsten leistet sich García alle medialen Freiheiten in der Wahl der Mittel. Eingespielte Videobilder von Politikern, Diktatoren wie Friedenskämpfern dienen ihm zur Positionierung seiner Kunst, die er als politische Einmischung versteht. Drei Schauspieler kommentieren die Bilder und spielen auf einer immer glitschiger werdenden Pampe wie auf dem Schlammgrund der Menschheit.
Die Phase mit den vergorenen Tiefkühlgerichten ist jedoch schon wieder vorbei. Und auch das Medium als solches ist bei García kein Thema, sondern nur ein Mittel zum Zweck. Für seine neue Arbeit, „Borges + Goya“, wollte er dagegen einfach mal wieder mit Text arbeiten. Herausgekommen sind, ganz anders als die Arbeiten davor, zwei formal schlichte Monologe, die von einer Erkenntnis geleitet sind: Politik und Wirtschaft als Kreisläufe eines albtraumhaften Konsumierens, Absorbierens und Ausscheidens.
Garcías internationaler Erfolg steht dafür, dass sich etwas tut in der Theaterszene der beiden großen Städte Barcelona und Madrid. Und das ist es, wovon das Minifestival „Hoy Espectáculo!“, koproduziert vom Hebbel am Ufer und dem Instituto Cervantes, erzählen will. Die ausgewählten Produktionen lassen sich zwar an einer Hand abzählen, aber einen Überblick gewinnt man dennoch. Neben García ist mit Àlex Rigola ein weiterer Materialfetischist dabei, der in Barcelona am Teatre Lliure neue Akzente für das Theater setzt. Beide ergänzen sich gewissermaßen: Garcia in seiner Aggressivität und Kantigkeit, und dazu Rigola, der elegant hinter die porösen Mauern einer Altstadtgasse den Nachbarn ins Wohnzimmer schaut. Sein „European House – stummer Prolog zu Hamlet“ spielt im aufgerissenen Querschnitt eines dreistöckigen Hauses, das sich nach einer Beerdigung langsam mit Menschen füllt, deren Spiel nur aus Gesten und Mimik besteht.
Im Vergleich dazu wirkt Garcías Arbeit dunkler, scheint unterschwellig mit seiner Herkunft zu korrespondieren. Die Stücke erzählen lustiger darüber, als er es im Gespräch tut. Geboren wurde er 1964 in der Nähe von Buenos Aires, Ende der Achtziger gründete er in Madrid seine Theatertruppe Carnicería Teatro. Argentinien hatte er 1984, ein Jahr nach dem Ende der Militärdiktatur, verlassen – enttäuscht darüber, dass die nächste Minderheit das Land regierte und ökonomisch kontrollierte. „Eine Hälfte meines Lebens habe ich in einem Land verbracht, wo es nicht genügend zu essen gab. Die andere Hälfte dort, wo alles im Übermaß da ist und vom Übermaß entwertet wird.“
Die Kluft hat seinen Blick geschärft. Für absurde Figurenikonografie zum Beispiel, wie sie auch in der „Geschichte von Ronald, dem Clown von McDonald’s“ auftaucht. Einerseits ist er eine Figur, die nachts in einer fremden Großstadt etwas Sicherheit spendet, andererseits brutzelt er die kulturellen Nischen mit seinen Hamburgern weg.
Aus der Rückeroberung solcher Räume bezieht García viele seiner Einfälle. In dem Monolog „Goya“ fantasiert ein Fußballfan, wie er mit seinen Kindern nachts in den Prado einbricht. Denn wenn ihm schon etwas den Schlaf raubt, dann sollen es wenigstens Gemälde von Goya sein – und nicht der Traum von einem Auto, das er sich nicht kaufen kann, oder davon, dass er zu spät beim Schlussverkauf dran war. Ein karikierender Gestus, mit dem García da arbeitet, aber einer, der zeigt, wie das Theater überall danach drängt, die Widersprüche der Zeit zu durchdringen, einzufangen, zu bändigen und vielleicht auch implodieren zu lassen.
„Die Geschichte von Ronald, dem Clown von McDonald’s“, heute und morgen, HAU2, 20 Uhr; „European House“, heute, HAU1, 19.30 Uhr; Filmaufzeichnungen am 25. und 26. 10., im Instituto Cervantes