: Das Abc der US-Wahl
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Advertisements: Fies und gemein sind in diesem Wahlkampf die TV-Spots der KandidatInnen für den US-Kongress. Statt eigene Plus- und Programmpunkte vorzustellen, werden KonkurrentInnen schamlos bloßgestellt,. „Was wissen wir wirklich über Angie Paccione?“, fragt eine seriös-besorgte Stimme in einem Wahlspot der Republikaner in Colorado. Und eine dramatische Stimme in einem Demokraten-Video meint, dass „Bob Corker, ein Republikaner aus Tennessee, bewusst wegschaute“. Dann erfahren die Zuschauer, dass Angie jahrelang ihre Rechnungen und Steuern nicht pünktlich zahlte, Bobs Baufirma früher Illegale einstellte. Beide Parteien haben seit langem für diese mediale Schlacht recherchiert, dabei machten sie auch vor Schlafzimmern nicht halt. Ausdruck eines der bittersten Kongresswahlkämpfe in der jüngsten US-Geschichte, meinen alte Washingtoner Hasen.
Barak Obama: In dieser Woche ist der Senator aus Illinois das Titelgesicht des Time-Magazins, das ihn gleich als das frische Gesicht der Demokraten – und als nächsten US-Präsidenten – feiert. Obama, 43, befindet sich mitten in einem kometenhaften Aufstieg in der US-Politik. Sozusagen vom Chicagoer Vorstadtaktivisten zum heimlichen Star dieses Wahlkampfs – dabei kandidiert er nicht einmal. Sein Senatssitz steht nicht zur Wahl. Möglicherweise wird Obama, Sohn eines schwarzen Kenianers und einer weißen Farmerstochter aus dem Mittleren Westen, ab Januar der einzige schwarze Politiker im Senat sein. Der Harvard-Absolvent hat eine versöhnliche, gründliche Art und steht für eine Politik der Vernunft, etwas, wonach sogar liberale Republikaner in den USA dürsten. Seit er auf dem Parteitag im Juli 2004 eine der besten Reden in der Demokratengeschichte hielt, vergleichen ihn einige mit Martin Luther King, andere mit Abraham Lincoln.
Common Good: Das jetzt wieder hervorgekramte Zauberkonzept der Demokraten. Lässt sich übersetzen mit „Allgemeinwohl“ und wird in diesem Wahlkampf intensiv bemüht als Antithese zum Konzept des „mitfühlenden Konservatismus“ von George W. Bush. Bereits vor 15 Jahren hatte der Präsidentschaftskandidat Bill Clinton vom Allgemeinwohl gesprochen und meinte damit eine Politik, die Chancengleichheit herstellen müsse, um das Land zusammenzuhalten. Clinton hatte gleichzeitig einen neuen Gesellschaftsvertrag gefordert, der von Regierenden und Regierten erfordere, das Allgemeinwohl vor Partikularinteressen zu stellen.
Foley-Skandal: Die Schlammschlacht um den republikanischen Abgeordneten aus Florida, Mark Foley, der Kongress-Schülerpraktikanten Sexbotschaften simste, ist im Hollywood-Sprech „on the nose“. Also einfach zu gut für ein Drehbuch. Nicht nur, dass Foley Anfang Oktober gestehen musste, schwul zu sein. Nein, Foley war auch Vorsitzender des Kongressausschusses für vermisste und missbrauchte Kinder. Es ist so kurz vor der Wahl der ultimative Sexskandal. Sofort wurde vom „Foley-Fallout“ gesprochen, also den Folgen, die diese Geschichte für die Kongresswahlen haben wird. Sicher ist, bei einigen besonders umkämpften Wahlkreisen könnte es die republikanischen Abgeordneten Sitze kosten. Das Thema hat noch Potenzial, denn ein Ethikkomitee des Unterhauses befragt zurzeit hochrangige Funktionsträger über ihre Mitwisserschaft.
Hillary: Jeder kennt sie, nicht jeder Demokrat mag sie: Hillary Rodham Clinton. In den letzten Wochen war nicht so sehr ihre New Yorker Senatskandidatur Thema, sondern die Frage, woher ihr Name eigentlich herrührt. Seit einem Jahrzehnt geisterte die Mär umher, ihre Mutter habe sie nach dem berühmten Mount-Everest-Bezwinger Sir Edmund Hillary benannt. Auch ihr Mann, Bill Clinton, verbreitete dies in seiner Autobiografie aus dem Jahr 2004. Jetzt hat ein schlauer Blogger mal nachgeschaut und die Geschichte einem Realitätscheck unterzogen. Alles gelogen. Sir Hillary erstürmte den Everest 1953. Hillary aber ist Jahrgang 1947.
Homoehe: Das Schreckenswort, mit dem die Konservativen noch im Wahljahr 2004 einige Millionen Wählende an die Urnen locken konnten, scheint ausgedient zu haben. Angesichts des Debakels im Irak, der Terrorangst und der steigenden Lebenshaltungskosten hat das Thema an Beachtung verloren. In acht Bundesstaaten, darunter Arizona, Idaho und Virginia, soll am Wahltag dennoch zusätzlich über Verbote der Homoehe abgestimmt werden. Beobachter werten dies als Verzweiflungstat der Rechten, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Einige der Anträge fordern, in die Verfassung des jeweiligen Staates die Formulierung „Ehe ist ein Bund zwischen einem Mann und einer Frau“ aufzunehmen. Schwulen- und Lesbenverbände gehen davon aus, dass die Initiativen langfristig nach hinten losgehen werden, denn sie benachteiligen juristisch die eingetragene Lebenspartnerschaft herkömmlicher Paare. Nur noch 49 Prozent aller US-Haushalte werden von Verheirateten geführt. Die „wilde Ehe“ ist mittlerweile auch in den USA die häufigste Form der Lebensgemeinschaft.
Iowa: Der Bundesstaat ist vermintes Territorium für eine der meistbeäugten Kandidatinnen: Hillary Rodham Clinton. Sie hat das ganze Land rauf und runter bereist, überall Millionen Dollar für ihren Wahlkampf gesammelt, aber in Iowa war sie nicht. Dafür aber letztes Wochenende ihr Mann. Grund hierfür ist, dass die erste Parteiberatung für die Wahlvorbereitung zur Präsidentenwahl 2008 in Iowa stattfinden wird. Ihre Wahlstrategen haben Hillary abgeraten, dorthin zu fahren. Täte sie es, würde dies als eine Vorentscheidung für eine Kandidatur 2008 gesehen. Und wer zu früh seinen Hut in den Ring wirft … Doch Bill musste hin, um schon mal Geld und Freunde für seine Frau zu sammeln.
Irak: Der Krieg im Irak sowie der Umgang mit Nord Korea spielt in zahlreichen Wahlkämpfen eine große Rolle. Während Republikaner das Irak-Thema am liebsten gar nicht ansprechen, setzen Demokraten das Debakel, wo sie nur können, auf die Agenda. Selbst US-Präsident George W. Bush, der den Demokraten weiterhin vorwirft, sie seien in puncto nationaler Sicherheit Versager, verzichtet in den letzten Tagen auf sein „Stay the course“, sein „Weiter so“, und verspricht stattdessen mehr Flexibilität in der Irakfrage.
Religiöse: Dass die Moderatoren verschiedener christlich-konservativer Radiosendungen, darunter der notorische Ultrakonservative Rush Limbaugh, kürzlich zu einer vertraulichen Audienz bei George W. Bush gebeten wurden, ist ein Zeichen. Die christliche Basis, so scheint es, steht nicht mehr stramm hinter dem Präsidenten. Die ansonsten linientreuen Moderatoren, allesamt Stars im US-Äther, machten in den letzen Wochen zum Teil kurzen Prozess mit republikanischen Studiogästen. Die Wahlstrategen im Weißen Haus befürchten, dass der Foley-Sexskandal die religiöse Basis nachhaltig erzürnen könnte. Die aber ist zudem darüber vergrätzt, dass Abtreibung, Homoehe und Stammzellenforschung auch im Bush-Amerika noch immer bekämpft werden müssen.
Slurs: Verleumdungen. Immer wieder fallen Kandidaten auf, weil sie abfällige rassistische Bemerkungen machen. Zum Beispiel sollen der republikanische Senator von Virginia, George Allen, sowie der unabhängige Kandidat für Texas, Kinky Friedman, mit rassistischen Bemerkungen über Schwarze und Latinos hergezogen sein. Der Cowboyhut tragende Friedman sagte dazu nur, er sei kein Rassist sondern „Realist“.
Sozialist: Ein unbedingt nur im Singular zu verwendendes Wort. Es gibt einen, tatsächlich. Er ist der unabhängige Abgeordnete und Bürgermeister Bernie Sanders aus Vermont. Seit 30 Jahren ist der Mann aus dem Norden eine erfolgreiche Einmannpartei, die sich dem skandinavischen Modell verschrieb und gute Chancen hat, den republikanischen Kontrahenten aus dem Sattel zu heben.
Stammzellen: Über die wird an vorderster Front im Bundesstaat Missouri gestritten. Am 7. November sollen die Wählenden über einen Zusatz in der Missouri-Verfassung abstimmen, der allgemein das Klonen von Menschen verbietet. Doch weiter hinten in dem mehrere Seiten langen Antrag wird die staatliche Forschung mit embryonalen Stammzellen dann doch erlaubt. Die demokratische Herausforderin und Befürworterin der Stammzellforschung, Claire McCaskill, torpediert nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit den republikanischen Senator Jim Talent, der am liebsten heftig dagegen wäre. Aber hinter dem Antrag steckt viel, sehr viel Geld für die Region. Und auch die konservative Business Community. Aussicht: Obwohl Missouri mehrheitlich gegen Abtreibung und pro Leben wählt, könnte das Stammzellengesetz durchkommen und McCaskill in den Senat katapultieren.
Todesstrafe: Im Bundesstaat Wisconsin sollen die Wählenden am 7. 11. sowohl über die Definition der Ehe wie auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach 153 Jahren abstimmen. Wisconsin war 1853 der erste Bundesstaat, der die Todesstrafe abschaffte. Im Durchschnitt sind 67 Prozent der US-AmerikanerInnen für die Todesstrafe für verurteilte Mörder.
Z ist das „andere“ Amerika. Z Communications ist eine linke US-amerikanische Mediengruppe, gegründet 1987. Zu ihr gehören Z Magazine, ZNet, Z Video und Z Media. Regelmäßige Autoren sind Uri Avnery, Noam Chomsky, Amira Hass, Robert Fisk, Howard Zinn u. a. Z ermöglicht es, aktuelle politische Entwicklungen in den USA aus einer linken Perspektive zu verfolgen.