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Archiv-Artikel

Gestähltes Nervenbündel

Nachdem Normann Stadler seinen Körper auf Vordermann gebracht hat, ist er nun auch mental stark genug, um es allen zu zeigen. Der Deutsche gewinnt zum zweiten Mal den Ironman auf Hawaii

VON SEBASTIAN MOLL

In seiner langen Triathlonkarriere hat Normann Stadler schon viele hundert Mal irgendeine Ziellinie überquert. Oft wurde der Sieger des Hawaii-Ironman von 2004 dabei von seinen Gefühlen übermannt und brach in hemmungsloses Schluchzen aus, ganz gleich, ob er gewann oder verlor. Als der 33-Jährige Stadler an diesem Samstagnachmittag im Hafen von Kailua Kona auf der Hawaii-Insel Big Island zum zweiten Mal Langdistanz-Weltmeister wurde, kam es bei ihm jedoch nicht zu einem emotionalen Zusammenbruch, sondern der Übermut des Triumphators brach sich Bahn. Weit streckte er beim Einlauf die Arme von sich, wie ein Adler, der auf seine Beute herabsegelt. Dann rammte er einem imaginären Gegenüber die geballte Faust in den Magen, um der Menge zu bedeuten, dass er es allen gezeigt hatte.

Normann Stadler, einst für seine schwachen Nerven und seine Labilität bekannt, ist selbstbewusst geworden. „Vor zwei Jahren haben alle gesagt, dass das eine Eintagsfliege ist“, erinnerte er sich nach seinem zweiten Hawaii-Sieg trotzig an seinen ersten im Jahr 2004. Damals war Stadler in seiner Schokoladendisziplin, dem Radfahren, den verdutzten Konkurrenten so weit enteilt, dass sie ihn nicht mehr einholen konnten, und er wurde trotz Nachteilen im Wasser und beim Marathon Weltmeister. So etwas, nahmen sich die geschockten Gegner vor, würde ihnen nicht noch einmal passieren. Doch es passierte noch einmal: „Heute habe ich gezeigt“, so Stadler, dass ich nicht nur Rad fahren, sondern auch schwimmen und laufen kann.“ Lange Jahre in seiner Karriere hatte Stadler Probleme im Wasser, weswegen er erste Erfolge im Duathlon feierte; in dieser Disziplin wurde er 1994 sogar Weltmeister.

In der Tat hatte Stadler schon früh am Morgen im trügerisch ruhigen Pazifik seinen zweiten Hawaii-Sieg vorbereitet. Er kämpfte erfolgreich gegen die starken Strömungen unter der glatten Wasseroberfläche an und ließ die Führungsgruppe um den Vorjahressieger und Schwimmspezialisten Faris Al-Sultan um nur 30 Sekunden enteilen. In vergangenen Jahren war Al-Sultan Stadler um bis zu zehn Minuten davongekrault. In erwartet unwiderstehlicher Manier verwandelte Stadler diesen Rückstand auf dem Rad in einen Vorsprung von elf Minuten und drückte dabei den Streckenrekord für die 180 Kilometer auf vier Stunden und 18 Minuten. Das entspricht einem Stundenmittel von beinahe 42 Kilometern. So sehr seine Verfolger Al-Sultan und der Australier Chris McCormack sich auch mühten, sie konnten dieses Defizit im Marathon nicht mehr gutmachen. Al-Sultan wurde mit acht Minuten Abstand Dritter, McCormack 71 Sekunden hinter Stadler Zweiter.

Der Titelverteidiger Al-Sultan nahm die Niederlage jedoch gelassen hin. Von zu vielen Wettkämpfen und anstrengenden PR-Terminen ausgelaugt, war er ohnehin nicht in Bestform nach Hawaii gekommen, und so verneigte er sich ohne Neid vor dem neuen Champion: „Normann hat ein großes Rennen gezeigt.“ Vor allem war Al-Sultan jedoch froh, dass sein Erzrivale McCormack Stadler nicht einholen konnte. McCormack, fand der Münchner, habe den Sieg nicht verdient, weil er auf dem Rad regelwidrig den Windschatten seiner Mitstreiter in der Verfolgergruppe hinter Stadler ausgenutzt habe. Ein Vorwurf, den auch Stadler bestätigte. „In meinen Augen“, so der neue Champion, „gehört Faris der zweite Platz.“ Aufs Treppchen hatte auch der Deutsche Timo Bracht (31) gewollt (siehe taz vom 20. Oktover), doch er musste sich nach einem durchwachsenen Rennen mit Rang elf begnügen.

Der erste Platz gehörte hingegen unumstritten Stadler. Und den gönnte ihm nach einer Pechsträhne jeder in der Triathlonszene. Im vergangenen Jahr hatte Stadler nach zwei Reifenpannen das Rennen aufgeben müssen. Bei der diesjährigen Ausgabe des Ironman in Frankfurt war er vom Rad gestürzt, hatte sich blutend und verletzt als Elfter ins Ziel geschleppt. Dass er dennoch nicht den Mut und den Glauben an sich verlor, war indes ein weiteres Zeichen seines erstarkten Selbstbewusstseins.

Sein ursprünglicher Wandel von einem hadernden Nervenbündel zu einem furchtlosen Kämpfer, erinnert sich Stadler, kam im Jahr 2002 – dem Jahr seiner bis dahin schlimmsten Vorstellung auf Hawaii. Damals war er völlig eingebrochen und hatte sich mehr als eine Stunde hinter den Favoriten unter körperlichen wie seelischen Qualen ins Ziel geschleppt. Das Erlebnis, so Stadler, habe ihm die mentale Härte gegeben, die diese Sportart ihren Besten nun einmal abverlangt. Im Verlauf des vergangenen Jahres musste er erneut durch ein Tal der Tränen marschieren – und kam mit erhobenem Haupt wieder heraus. Damit dürfte die Zeit der Zweifel und der Gefühlszusammenbrüche für Normann Stadler wohl endgültig vorbei sein.