: Liebe zur ironischen Brechung
An einer gelassenen Grundhaltung arbeite er noch, sagt John von Düffel. Jetzt hat der gleichwohl beinahe immer fröhliche Autor und Dramaturg am Hamburger Thalia Theater den Nicolas-Born-Preis des Landes Niedersachsen bekommen. Ein Porträt
VON PETRA SCHELLEN
Wie viele Arten von Humor gibt es? Und ist Ironie erlernbar? Der fast immer fröhliche John von Düffel weiß es nicht. In seiner Herkunftsfamilie sei es „so richtig lustig“ nicht gewesen, sagt der Autor, der seit gut fünf Jahren Dramaturg am Hamburger Thalia Theater ist. Vor wenigen Tagen hat er den Nicolas-Born-Preis des Landes Niedersachsen bekommen. Den erhält seit 2000 zu Ehren des Schriftstellers Nicolas Born jeweils ein „herausragender Schriftsteller mit Bezug zu Niedersachsen“. Er ist dotiert mit 15.000 Euro.
Nicht die erste Auszeichnung für John von Düffel. Schon lange ist er, der Gesellschaftskritiker, kein Geheimtipp mehr: Zu den meistgespielten Stücken Deutschlands zählen seit 1999 „Rinderwahnsinn“ und „Die Unbekannte mit dem Fön“, die den Generationenkonflikt beleuchten. Der Terrorismus-Hysterie und der rechten Szene widmet er sich in „Born in the RAF“ und „Solingen“. Von Düffels Themen sind fast immer aktuell – weshalb er dieses Genre besonders liebt. „Man kann auf dem Theater schneller auf aktuelle Entwicklungen reagieren als im Roman“, sagt er. „Außerdem soll Theater ja nicht zum Museum erstarren.“
Wobei er das literarische Schreiben, seine zweite Passion, nicht missen will: Von sieben bis zehn Uhr morgens arbeitet er jeden Tag an seinen Büchern. Die handeln gerne vom Wasser, vom Schwimmen, von Familien, manchmal auch von körperverliebten Egomanen. „Houwelandt“ sein jüngster Roman, dessen Entstehung der gleichnamige Film von Jörg Adolph dokumentiert, zeichnet den Verfall einer Familie nach. Ein Plot, der nicht zufällig dem der „Buddenbrooks“ von Thomas Mann ähnelt, die von Düffel 2005 für das Thalia Theater dramatisiert hat.
Aber warum interessiert ihn das? Leben wir in einer Zeit des Verfalls? „In einer Zeit der Verfallsängste. Und die kann man auf dem Theater gut zum Thema machen“, sagt von Düffel – „da, wo Realität und Fiktion sich treffen.“ Doch warum überhaupt das Familienthema? Will er ein Denkmal setzen? „Ich glaube, dass sich, trotz der geographischen und lebensweltlichen Trennung der Familien, gewisse Dinge fortsetzen – Verhaltensmuster zum Beispiel. Und dass wir selbstverständlich verbunden sind mit unseren Vorfahren.“ Ein Grund auch dafür, dass der studierte Philosoph sich immer stärker für das Thema „Altern“ interessiert. „Das beginnt ganz natürlicherweise, wenn die eigenen Eltern das Alter natürlicher Großeltern erreichen. Dann fragt man sich, wie die Zukunft der Älteren aussehen wird.“
Freundlich und verbindlich, fast zu professionell auch in der Reflexion über Privates wirkt der 1966 in Göttingen geborene Autor, der „mal hier, mal da“ aufwuchs. Stationen waren das nordirische Londonderry und der US-Bundesstaat South Dakota. „Vor diesem Hintergrund bin ich in Bezug auf Heimatgefühle nicht so festgelegt“, sagt von Düffel. Den prägendsten Ort seines Lebens kann er nicht benennen. All seine Kindheitsorte hätten am Wasser gelegen. Dort, wo er sich, schwimmend, geborgen fühle. Aktuell aber hat er seinen Schreibtisch in Karlsruhe, wo seine Partnerin lebt. „Der zweite Ort ist das Theater – und vor allem: die Kombination vonmonomanischem und kollektivem Arbeiten.“ Denn sich für das eine oder andere zu entscheiden, das habe er nie geschafft. „Ich habe inzwischen aufgehört, mir deshalb ein schlechtes Gewissen zu machen.“
„Amphibisch“ lebt John von Düffel eben – nicht nur, weil er seit jeher das Wasser liebt und es genießt, sich von der Strömung treiben zu lassen, ohne die Richtung beeinflussen zu können. Dabei wirkt sein Arbeitsalltag diszipliniert – das Pendeln inbegriffen. „An einer gelassenen Grundhaltung arbeite ich noch“, sagt von Düffel. Auch die geziemende Langsamkeit, das Loslassende des Getriebenseins würden sich schon noch einstellen. „Vielleicht nicht in Bezug aufs Denken und Reden.“ Er lacht wieder. „Aber beim Schreiben bin ich schon deutlich langsamer geworden.“
Was er seine „innere Relativitätstheorie“ nennt, den in allen Texten präsenten inneren Abstand zum Geschehen, das habe sich wohl während seiner Auslandsaufenthalte entwickelt. „Wenn man die Wiedervereinigung erlebt hat und dann in die USA kommt, wo das keine Rolle spielt, verschiebt sich manches.“ Und woher kommt seine Liebe zur ironischen Brechung? „Ich weiß es nicht genau“, sagt der einstige Filmjournalist und Theaterkritiker. „Es wäre vermessen zu sagen, wie so etwas entsteht.“ Er wisse einzig, „dass die Fähigkeit zur Ironie heilsam ist. Und dass sie nicht – wie Satire oder Zynismus – ein Preisgeben dessen bedeutet, über das man spricht. Ich kann auch über die Liebe oder über Menschen, die mir viel bedeuten, ironisch sprechen. Aber ich würde sie nie der Lächerlichkeit preisgeben.“