: berliner szenen Wochenende mit Demos
„Bäume sind cool“
„Hasstag schon vorbei?“, fragte ich Samstagnachmittag Passanten am Wittenbergplatz. Aber niemand hatte etwas gehört oder gesehen von Islamisten, die gegen Israel demonstrieren wollten. Ich fuhr zum Brandenburger Tor, dort rief der DGB laut Flyer zu einer Großkundgebung auf. Hier sah es aus wie auf einer Hochzeit, bei der weder Brautpaar noch Gäste gekommen waren. Was tun? Es kam einer Erlösung nah, als ich jemand durchs Mikrofon rufen hörte: „Jeder, der stehen bleibt, leistet einen Beitrag.“ Nach all den Schlappen folgte ich der Stimme auf der Straße des 17. Juni und sah auf einer kleinen Bühne einen Conférencier, der etwas von Rainer Langhans – verkleidet als Johannes B. Kerner – hatte, und ich blieb voller Hoffnung stehen.
„Gaia, wir sind cool!“ und „Die Evolution ist in uns!“, sagte er. Bevor ich herausgefunden hatte, was diese Sätze bedeuten könnten, ging der Conférencier zu einem vermutlich eben erst gepflanzten jungen Trieb neben der Bühne und rief: „Wir verneigen uns vor der majestätischen Linde, Berlin hat schöne Bäume, Respekt für alle, Bäume sind cool.“ Wäre ich nicht zu allen anderen Veranstaltungen zu spät gekommen, hätten mich Spruchbänder wie „gaia and style“ sofort stutzig gemacht. Und warum Turkish Airlines das angeblich erste deutsche Umweltkonzert unterstützt, weiß ich auch nicht. Statt dessen habe ich mit P. R. Kantate einen müden Refrain mitgesungen, mich am Schluss auch noch mit dem Conférencier und fünf anderen Zuschauern vor dieser Minilinde majestätisch verneigt und, was am schlimmsten ist, fotografieren lassen. Aber den Kauf von Gaia-Schlafanzügen, die man auch als Heizdecke verwenden kann, habe ich dann doch gelassen.
JUTTA RAULWING