piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Teufel sammelt Jeff Koons

Kritik der Kritik (13): In der Mode kann die Chefredakteurin der „Vogue“ über Karrieren von Designern entscheiden. Solche Autorität gibt es in der Kunst nirgends. Trotzdem erinnert Kritik oft an Werbetexte nach dem Klischee vom Fashionmagazin

■ Kritikfähigkeit wird heute von jedem Schulkind erwartet. Aber wie steht es damit in der Kultur? Ist Kritik auf dem Rückzug, bedrängt durch die Kulturindustrie? Ist sie nötiger denn je? Und wie soll/kann/muss sie heute aussehen? Eine Artikelreihe zum gegenwärtigen Stand des kritischen Handwerks

von ISABELL GRAW

Ein leichtes Verziehen ihrer Lippe genügt, um einen routinierten Designer, nun vor Angst schlotternd, zur vollständigen Überarbeitung seiner Kollektion zu bringen. So geschehen in einer Szene des wohl besten Modefilms aller Zeiten „Der Teufel trägt Prada“, der das Milieu, die Macht der Modeindustrie und damit verbunden auch den Einfluss der Modekritik so treffend wie unterhaltsam vorführt. Eine großartige Meryl Streep spielt hier die Rolle der so übermächtigen wie gefürchteten Modekritikerin und Herausgeberin der US-amerikanischen Vogue: Anna Wintour alias Miranda Priestly. Dass die Verhältnisse in diesem Film so hoffnungslos überzeichnet werden, darin liegt meines Erachtens sein gegenwartsdiagnostisches Potenzial. Denn die für die Modewelt typische Bereitschaft von Individuen, die Vorgaben des Marktes lustvoll zu verinnerlichen, zeichnet sich derzeit auch in anderen Feldern – nicht zuletzt der Kunstwelt – ab. Im Unterschied zur Kunstkritik übt eine Modekritikerin wie Anna Wintour jedoch unmittelbaren Einfluss auf Wertbildungsprozesse aus.

Zwar produzieren Rezensionen oder Coverstorys natürlich auch im Kunstbereich kulturellen Mehrwert. Doch meines Wissens hat noch kein Text eines renommierten Kritikers dazu geführt, dass eine künstlerische Arbeit gewinnbringend auf dem Sekundärmarkt der Kunstauktionen gehandelt wird. Der Einfluss Wintours auf die Aktien der Modefirmen und die in Fashionkreisen jeweils vorherrschenden Modenormen kann hingegen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Junge Designer, die von ihr entdeckt wurden oder in ihrer Gunst stehen – etwa Marc Jacobs oder Proenza Schouler – werden regelmäßig in der Vogue gefeaturet. Damit stehen ihre Entwürfe im Ruf, den neuesten Trend zu verkörpern, und werden von den maßgeblichen Einkäufern der New Yorker Luxuskaufhäuser wie „Barneys“ oder „Bergdorf & Goodman“ geordert. Letztlich entscheidet also Anna Wintour – zumindest für den US-amerikanischen Raum – darüber, was als Must have der nächsten Saison getragen werden wird. Urteilt sie vernichtend über eine Kollektion, wirkt sich dies negativ auf deren Absatz aus. Und sie greift sogar in die Ebene der Produktion ein, wie besagte Szene mit dem vergeblich auf Wohlwollen hoffenden Designer zeigt. Im selben Moment, in dem Anna Wintour etwas an seiner Kollektion zu beanstanden hat, findet sich ihr Einwand sofort berücksichtigt und umgesetzt.

Einen solch unmittelbaren Einfluss der Kritik auf künstlerische Produktion hat es in der Kunstkritik wohl zum letzten Mal in den 50er-Jahren gegeben, verkörpert in der Person des sagenumwobenen Kunstkritikers Clement Greenberg, dessen anmaßende Thesen bis heute eine theoretische Herausforderung darstellen. Legendär sind seine Atelierbesuche bei Jackson Pollock, während deren er in einer Mischung aus Treffsicherheit und Willkür einige Bilder für gut, andere hingegen für überarbeitungswürdig befand. Den Bildhauer David Smith brachte er sogar dazu, die Farbe seiner Stahl-Skulpturen wieder abzukratzen. Auch Greenbergs nachhaltiges Bemühen, Künstler wie Morris Louis oder Keneth Noland durchzusetzen, trug Früchte.

Seit diesen glorreichen Zeiten einer Kunstkritik als machtvoller Instanz hat diese jedoch massiv an Renommee und tatsächlichem Einfluss eingebüßt. Blättert man heute internationale Kunstzeitschriften durch, kommt man um die Feststellung nicht herum, dass Kunstkritik tatsächlich mehr und mehr die Züge von Promotion annimmt: Pressetextähnliche Verlautbarungen, die eine gewisse Verwandtschaft zur Modeberichterstattung aufweisen. Doch während sich das prinzipiell Deskriptive und Emphatische eines Modetextes ja mit dem Gebrauchswert seines Gegenstandes erklärt, der schließlich getragen wird und für den folglich Direktiven ausgegeben werden müssen, verfügt die Kunstkritik trotz der zugespitzten Definitionsmacht des Kunstmarktes über eine Art Restautonomie. Diese erklärt sich aus der Tatsache, dass es in der Kunst vergleichsweise weniger auf Nutzen oder Funktionen ankommt. Kunstkritik wird dadurch – jedenfalls theoretisch – in die Lage versetzt, grundsätzliche Einwände zu erheben oder methodisch einen Schritt zurückzutreten. Wo Modekritik aufgrund der potenziellen Tragbarkeit von Kleidern oder Accessoires notgedrungen immer auch Kaufempfehlung ist, vermag Kunstkritik gesellschaftskritische und vom Kunstwerk wegführende Überlegungen anzustellen, aus denen sich natürlich auch kulturelles Kapital schlagen lässt, das sich bei Gelegenheit in ökonomisches transformiert.

Nur: Macht es angesichts der für Modezeitschriften charakteristischen Vermischung von redaktionellem Teil und Werbestrecken überhaupt Sinn, von Modekritik zu sprechen? Sicher insofern, als diese Modetexte einen Vorgeschmack darauf geben, mit welchem Modell von Kritik wir in Zukunft auch in der Kunstkritik zu rechnen haben. Denn besagte Tendenz zur Vermischung von redaktionellem Teil und Werbetexten macht auch vor Kunstzeitschriften nicht Halt. Zu Saisonbeginn füllen selbst seriöse Zeitschriften wie Artforum ihre Seiten mit pressetextförmigen Ankündigungen internationaler Ausstellungen, die namhafte Kritiker schreiben. Unwillkürlich fühlt man sich an jene emphatischen Kurztexte erinnert, mit denen in Modezeitschriften neue Kosmetikprodukte angepriesen werden.

Bedeutet diese formale Annäherung von Mode- und Kunstkritik im Umkehrschluss, dass für die Kunstkritik ein Autoritätszuwachs kurz bevorsteht? Wird es also demnächst auch in der Kunstkritik eine Anna Wintour geben? In Anbetracht der Tatsache, dass sich Mode- und Kunstwelt derzeit auch auf anderen Ebenen immer stärker einander annähern, ist dies nicht ganz auszuschließen. Nicht nur strukturell hat sich der vormals nach dem Modell des Einzelhandels organisierte Kunstbetrieb in eine veritable Kulturindustrie inklusive der ja auch für die Modeindustrie typischen korporativen Zusammenschlüsse verwandelt, mehr noch haben die Überschneidungen auch auf personeller Ebene zugenommen, wie sich den diesjährigen Presseberichten über die Londoner „Frieze“-Kunstmesse entnehmen ließ. Gleich zu Beginn fanden sich hier die Namen jener Models und Celebrities erwähnt – Kate Moss oder Claudia Schiffer –, die beim Gang durch die Kojen gesichtet worden waren. Dem Vernehmen nach sollen Claudia Schiffer und Gwyneth Paltrow selbst zugeschlagen und sich mit Gegenwartskunst eingedeckt haben.

Auch in der Person eines François Pinault – das Wall Street Journal hat ihn kürzlich zum mächtigsten Mann des Kunstbetriebs gekürt – gehen Luxusmode und Gegenwartskunst eine perfekte Symbiose miteinander ein. Pinault ist nicht nur einer der größten Sammler der auf dem Markt derzeit gehypten Künstler/innen und dazu passend Besitzer eines Auktionshauses (Christie’s); er herrscht dazu über eines der größten Modeimperien, zu dem Marken wie Prada oder Gucci gehören. Das Geld, das er mit Luxusgütern verdient, die sich schließlich durch rapiden Wertverlust charakterisieren, wird gleichsam rückinvestiert und zwar in kurzfristige Wertsteigerungen verheißende Gegenwartskünstler/innen. Aufgrund seiner Ankäufe versetzt Pinault nun die von ihm gesammelten Künstler/innen in die Lage, ihr Geld ihrerseits für seine Statussymbole auszugeben – etwa eine It-Bag von Louis Vuitton. Und so schließt sich der Kreis. Dass bildende Künstler/innen – zumal gut verdienende – wie auch das Personal der Kunstwelt im Allgemeinen zuverlässige Abnehmer von Markenmode sind, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass Modefirmen wie Marc Jacobs oder Prada ihre Anzeigenkampagnen verstärkt in Kunstzeitschriften platzieren.

Darüber hinaus hat die Definitionsmacht des Marktes in der Kunstwelt in den letzten Jahren in einer Weise zugenommen, die an das Unentrinnbare des Modediktats erinnert. So wie sich Moderedakteure, die nicht Anna Wintour heißen, mit den Vorgaben einer Industrie konfrontiert sehen, die ihnen quasi ihre persönlichsten Vorlieben diktiert, sind zahlreiche Kunstkritiker dazu übergegangen, die von den Akteuren des Marktes gefällten Werturteile nur noch zu ratifizieren. Das heißt, mit anderen Worten, dass ökonomische Kriterien an die Stelle von kunstkritischen getreten sind, auch wenn Erstere gerne im Gewande eines ästhetischen Werturteils auftreten. Je autonomer sich die Akteur/innen in ihrer scheinbar rein ästhetischen Begeisterung für eine allseits begehrte künstlerische Arbeit oder ein bekanntes Fashionlabel wähnen, desto fremdbestimmter handeln sie im Grunde genommen – auch dies eine Lektion aus „Der Teufel trägt Prada“.

In einer fulminanten Rede erklärt Anna Wintour alias Meryl Streep ihrer zukünftigen Mitarbeiterin, dass sich ihr in unmodischer Absicht getragener, schrabbeliger petrolfarbener Pullover am Ende einer Farbwahl verdankt, die zuerst von Modedesignern wie Oscar de la Renta oder Yves Saint Laurent und schließlich auch ihr selbst getroffen wurde. Anders gesagt, man entkommt den Fängen der Modeindustrie auch dann nicht, wenn man sich immun gegen sie wähnt. Dieses Prinzip eines „Mitgefangen, mitgehangen“ gilt auch für die Kunstwelt, wo zwar alle der Meinung sind, der Markt sei irgendwo anders und sie selbst hätten mit ihm ohnehin nichts zu tun. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch der Markt weder den Produzent/innen noch den Rezipient/innen äußerlich. So wie marktbezogene Überlegungen bereits in die Ebene künstlerischer Konzeption hineinspielen (Produktionsaufwand und Formatwahl in Hinblick auf Verkäuflichkeit), wird sich ein scheinbar unabhängig gefälltes kunstkritisches Urteil nicht gänzlich von dem Wissen um die Platzierung der besprochenen Arbeit auf dem Kunstmarkt freimachen können.

Kündigt sich in der Figur der Anna Wintour womöglich doch eine gesamtgesellschaftliche Aufwertung von Kritik an? Falls ja, dann um den Preis ihrer Rückstufung auf emphatische Beschreibungen oder selbstherrlicher Verwerfungen – für Methodendebatten, gesellschaftskritische Überlegungen oder das systematische Erarbeiten von Kriterien wird dann kein Raum mehr sein. Für den Moment erscheint es ohnehin schwer vorstellbar, dass Fotos einer Kunstkritikerin regelmäßig in den Lifestyle-Gazetten wie Bunte oder Gala auftauchen, so wie es bei Anna Wintour der Fall ist. Stets sitzt sie, mit unverwechselbarem Haarschnitt à la Mireille Mathieu, in der ersten Reihe der Fashionshows. Sie besitzt mittlerweile den Status einer Celebrity, die sich perfekt inszeniert, aber auch starkem Inszenierungsdruck ausgesetzt ist. Identifikationsfigur, Projektionsfläche und Giftcontainer in einem. Ihr Einfluss mag auch für hiesige Kunstkritiker auf den ersten Blick erstrebenswert erscheinen – am Ende ist er jedoch meines Erachtens zu teuer bezahlt – auf allen Ebenen.