: „Ich bin eine Ausnahmeerscheinung“
PORTRÄT Der Hamburger Autor Frank Göhre erzählt bei einem Hafenspaziergang, warum er seine Texte zerschneidet, was er von der derzeitigen Krimi-Welle hält und wieso er so gut ist
VON ILKA KREUTZTRÄGER
Ruppig, schamlos, abgrundtief. So schreibt Frank Göhre Bücher. Seine Romanfiguren „semmeln der Schlampe noch eine rein“ oder reißen Frauen im Wagen Sporthose und Slip herunter. Irgendwann hatte er den Ruf weg als der Pornograf des Krimi-Genres und viele Fotos zeigen ihn mit Hut, Schnauzbart und langem Mantel, immer ein wenig grimmig drein schauend. So wie ein Krimi-Autor aussehen sollte.
In seinem „Nachruf zu Lebzeiten“ schreibt er: „Mit zunehmendem Alter und zudem bedingt durch die ständige Schreibisolation nahmen dann aber seine sexuellen Phantasien derart überhand, dass seine Manuskripte nicht mehr annehmbar waren. Seine Autorenkarriere endete abrupt. Relativ vermögend verbrachte der einst populäre Schreiber seine letzten Lebensjahre in einer Hotelsuite in Miami Beach, wo er am vergangenen Freitag in den Armen eines kubanischen Transvestiten verstarb.“
Und dann wartet da am verabredeten Ort auf der Überführung an den Landungsbrücken dieser große ältere Herr mit Baseballmütze auf einen Hafenspaziergang. Warmer Händedruck, weiche Stimme, freundliche Augen.
Frank Göhre ist 1943 in Tetschen-Bodenbach geboren und wuchs in Bochum auf. Und zunächst sah es nicht danach aus, als würde er es einmal zum ausgezeichneten Krimi- und Drehbuchautoren bringen über den gern geschrieben wird, er habe eine eigene Schreibweise des „Noir made in Germany“ entwickelt und er genieße eine Ausnahmestellung in der deutschen Krimi-Landschaft. Mit 15 ging er vom Gymnasium ab, weil er in Latein so schlecht war, wie er sagt. Etwas Handfestes sollte es sein und er lernte Großhandelskaufmann, hängte dann eine zweite Lehre im Buchhandel ran. Ende der 60er Jahre engagierte er sich in der Lehrlingsbewegung, die gegen miese Ausbildungsbedingungen in Lehrbetrieben auf die Straße ging, und begann in dieser Zeit, die ersten Kurzgeschichten zu schreiben.
„Im Nachhinein betrachtet kann ich sagen, dass sich immer alles nahtlos aneinander gefügt hat“, sagt Göhre, dem der Wind am Hafen die Tränen in die Augen treibt. Er hatte gute Kontakte zu den Lehrlingen, schrieb darüber ein erstes O-Ton-Hörspiel, gewann damit einen Preis. Daraufhin bekam er Aufträge von NDR und WDR. „Und schon war ich drin in den Medien.“ Bevor er sich 1973 für ein Leben als freier Schriftsteller entschied, arbeitete er weiter als Buchhändler.
Kein Geschichtenerfinder
Vielleicht hat er aus dieser Zeit seine akribische Arbeitsweise hinübergerettet. Denn Göhre ist kein Geschichtenerfinder, sondern ein Rechercheur. Er denkt sich keine Figuren aus und lässt diese dann fiktive Dinge tun, sondern er trägt ihre Eigenschaften zusammen, hebt alles auf, was er für eine spätere Geschichte brauchen könnte. Er notiert zum Beispiel in einem Stichworttagebuch wie das Wetter war, sammelt Zeitungsausschnitte und anderes Zeitgeschehen, um die Geschichte für den Leser zu öffnen, vielleicht Erinnerungen an die Zeit wachzurufen, wie er sagt. „Wenn ich zum Beispiel in meiner Kiez-Trilogie den Hamburger Kessel erwähne und dazu noch sagen kann, wie das Wetter am besagten Tag war, dann brauche ich mich nicht mit langen Erklärungen aufzuhalten.“
Nach Hamburg kam Göhre 1981 und heute lebt er mit seiner Frau in Winterhude. Nah am Stadtpark. Seine Lehraufträge an der „Autorenschule Hamburg“, dem „Drehbuch Camp“ in Freiburg oder der Filmakademie Ludwigsburg hat er mittlerweile ebenso drangegeben, wie das Drehbuchschreiben selbst.
Nie wieder „Tatort“
„Ich habe es immer gehasst, dass bei einem Drehbuch von vornherein alles feststehen muss“, sagt Göhre, der unter anderem Schimanski- und Stoever-„Tatorte“ oder Folgen fürs „Großstadtrevier“ schrieb. Beim Romanschreiben sei er viel freier. „Ich weiß bei meinen Geschichten, auf welche inhaltliche Lösung ich hinauswill, aber wenn mich meine Frau abends fragt, wie es weitergehen soll, kann ich keine Auskunft geben.“
Umso vorhersehbarer ist Göhres Tagesablauf. „Ich bin ein Frühaufsteher“, sagt er. Um acht sitze er meist am Schreibtisch in seinem vier mal vier Meter großen Arbeitszimmer, das voll mit Bücherregalen ist. Eigentlich sei nur die Balkontür frei von Büchern. „Dann schreibe ich den Vormittag durch und den Nachmittag verbringe ich mit Korrekturen oder beantworte E-Mails“. Die Fleißaufgaben. Seine Frau habe in seiner Arbeit einen bestimmten Rhythmus erkannt, sagt Göhre. „Ein bis zwei Tage schreibe ich zügig und locker, und an den nächsten zwei bis drei Tagen geht dann nichts und ich schmeiße vieles weg.“ Früher waren diese Tage, an denen ganze Textpassagen in den Müll wanderten, für ihn verlorene Tage. „Aber heute weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich weiß dann am Ende wenigstens, was ich auf keinen Fall schreiben will.“
Bei seinem Roman „Eloi – Der Auserwählte“ brauchte er fünf Anläufe, um den richtigen Anfang zu finden. Fünf Mal hat er seine Texte ausgedruckt, die einzelnen Passagen ausgeschnitten, die Schnipsel hin- und herverschoben und immer wieder anders kombiniert, bis es passte.
All diese Zwischenschritte seiner Arbeit bewahrt Göhre auf. Dafür habe er extra vor einigen Jahren den Dachboden entrümpelt, Regale angebracht und dort sein Archiv eingerichtet. Da stehen zum Beispiel von all seinen Werken jeweils zwei Ausgaben. „Und wenn ich mit einem Buch fertig bin, dann packe ich alles in eine große Ikea-Kiste und bringe die nach oben“, erzählt Göhre, der auch seinen Nachlass schon geregelt hat. „Ich denke noch nicht an den Tod, aber ich weiß, dass es in vielen Familien Streit über den Nachlass von Autoren gibt.“ So schätze er seine Frau zwar nicht ein und Kinder habe er auch nicht, aber es sei ihm dennoch wohl dabei, wenn er weiß, dass sein Verleger sich später um alles kümmern werde.
Göhre erzählt über seinen Nachlass im gleichen zufriedenen Tonfall wie über seine Ideen für ein neues Buch. Er sagt Sätze wie „Niemand im deutschsprachigen Raum schreibt wie ich, niemand verschachtelt seine Handlungen so ineinander wie ich“. Hoch gelobt sind seine Rückblenden und Perspektivwechsel. Dabei falle ihm das nicht schwer, weil er in Dialogen und in Bildern denke: „Ich bin eine Ausnahmeerscheinung.“ Und vielleicht ist er allein deswegen eine solche, weil er es hinbekommt, dabei nicht eine Spur eitel zu wirken.
Mehr als Agatha Christie
Vor allem weiß er, in welcher schriftstellerischen Tradition er sich mit dem Genre Kriminalroman bewegt – auch durch seine jahrelange Arbeit als Buchhändler. „Viele junge Kollegen wissen nichts über das Genre, blicken mich fragend an, wenn ich zum Beispiel den Namen Chandler erwähne“, sagt Göhre und schaut dann zum ersten Mal auf diesem Spaziergang ein wenig grimmig. Für ihn ist der Krimi mehr als das, was viele seit Agatha Christie mit ihm verbinden: ein Haufen Rätsel, viele Verdächtige und am Ende ist derjenige der Täter, mit dem man am wenigsten gerechnet hat. „Es reicht eben nicht nur Deutsch zu können, um einen Krimi zu schreiben, auch wenn viele pensionierte Lehrerinnen das zu glauben scheinen.“
Im Sommer will er mit seiner Frau einen Monat lang in Amsterdam wohnen, recherchieren und Geschichten sammeln. Nächste Woche schaut er sich dort eine Wohnung an, mit kleinem Garten und direkt an einer Gracht. „Das wollte ich schon immer einmal machen und jetzt habe ich endlich die Zeit dafür.“
Frank Göhre liest aus „Eloi – Der Auserwählte“: Samstag, 11 Uhr, Literaturhauscafé Hamburg, Schwanenwik 38