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Archiv-Artikel

Die Copacabana in Flammen

BRASILIEN Nach dem Tod eines Tänzers gehen Polizei und Anwohner eines Armenviertels aufeinander los

AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN

„Wie lautet diesmal die Begründung? Hat er sich verdächtig verhalten, hat er auf die Polizei geschossen oder war er ein Drogenhändler?“, twitterte entrüstet ein Freund von Douglas Rafael da Silva Pereira, dem neuesten mutmaßlichen Opfer der Polizei, in einer Favela. Die Wut der Anwohner entlud sich in heftigen Ausschreitungen, diesmal im Herzen der Touristenstadt Rio de Janeiro, im weltberühmten Stadtviertel Copacabana.

Barrikaden brannten lichterloh, mehrere Autos wurden in Brand gesetzt und Schaufenster eingeschmissen. Viele Straßen waren stundenlang unpassierbar. Touristen konnten ihre Hotels nicht mehr verlassen und beobachteten fassungslos die Straßenschacht, die am Dienstagabend gegen 18 Uhr begann. Die Polizei setzte Hubschrauber, Wasserwerfer und Schusswaffen ein. Ein Mann wurde durch einen Kopfschuss getötet, ein 12-Jähriger angeschossen.

Auslöser war der Tod von Douglas Rafael. Er war am Dienstagvormittag in einer Schule des Armenviertels Pavão-Pavãozinho gefunden worden. Laut Aussagen von Freunden wurde er von Polizisten zu Tode geprügelt. „Sein Körper wies zahlreiche Verletzungen auf, als ich ihn endlich sehen durfte“, sagte seine Mutter Maria de Fátima da Silva vor Journalisten, nachdem sie auf dem Revier ihre Aussage gemacht hatte. Der 26-Jährige mit dem Künstlernamen DG war Tänzer der beliebten Musiksendung „Esquenta“ des Fernsehsenders Globo. Laut Fátima da Silva hatte er in der Favela seine vierjährige Tochter besucht.

Die Polizei widerspricht der Darstellung der Anwohner. Eine erste Untersuchung habe ergeben, dass der Tod wahrscheinlich durch einen Sturz verursacht worden sei. In der Nacht auf Dienstag war es zu einer Schießerei in der Favela gekommen, als Bewaffnete den Posten der Befriedungspolizei UPP (Unidade de Polícia Pacificadora) (siehe unten) in Pavão-Pavãozinho angriffen. Womöglich sei der Tänzer mit einem fliehenden Drogenhändler verwechselt worden, so eine Mutmaßung der Polizei.

Pavão-Pavãozinho liegt zwischen den schicken Stadtvierteln Copacabana und Ipanema, nur wenige Hundert Meter von den weltberühmten Stränden entfernt. Dass gewalttätige Ausschreitungen und martialische Polizeieinsätze, bei denen Polizisten mit Pistolen und Gewehren im Anschlag die steilen Straßen von Armenvierteln entlangstürmen, jetzt auch mitten in den Touristenzentren Rio de Janeiros Panik verursachen, bereitet den Stadtpolitikern nur sieben Wochen vor Beginn der Fußball-WM Kopfzerbrechen. Nicht nur das Sicherheitskonzept steht infrage. Ins Rampenlicht gerät der Umgang mit den Menschen in den Armenvierteln, die sich offenbar im Bewusstsein der medialen Präsenz in der Olympiastadt 2016 erstmals gegen die notorische Polizeigewalt wehren – ein Novum, da die Angst und die Unsichtbarkeit der Menschenrechtsverletzungen solche Reaktionen meist unmöglich machten.

Die Polizei begründet ihr offensives Vorgehen in den letzten Wochen mit einer Gegenoffensive der Drogengangs gegen die Befriedung ihrer einstigen Hochburgen durch die UPPs. Die professionelle Gewalt bei den Ausschreitungen sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Proteste der Anwohner für die Verbreitung von Chaos in der Stadt genutzt würden.

Bis zu Tausend Menschen tötet die Polizei jedes Jahr allein in Rio de Janeiro. Amnesty International spricht von 2.000 Toten jährlich durch Polizeischüsse in ganz Brasilien, genaue Zahlenangaben gibt es nicht. Fast alle Todesopfer werden mit „Notwehr“ begründet, gerichtliche Untersuchungen finden selten statt. In der Presse wird zumeist kommentarlos wiederholt, es handele sich um Kriminelle oder Drogenhändler. Die Schwarzenbewegung spricht seit einigen Jahren von einem Genozid an schwarzen Jugendlichen, da die meisten Opfer arm, jung, männlich und dunkler Hautfarbe sind.