: Eine ganz seltene Schreibschwäche
Erst siebenmal haben Präsidenten aktiv in die Politik eingegriffen und die Unterschrift unter ein Gesetz verweigert
Freiburg taz ■ Zum ersten Mal in seiner Amtszeit hat Bundespräsident Horst Köhler ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz nicht unterschrieben und damit dessen Inkrafttreten verhindert. Ein ungewöhnlicher Akt. Insgesamt haben Bundespräsidenten von ihrem Prüfungsrecht nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Erst sieben Mal verweigerten sie Gesetzen die Unterschrift.
„Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten (…) ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet.“ Aus dieser etwas vagen Vorschrift in Artikel 82 Grundgesetz wird das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten abgeleitet. Eine volle Prüfung kann er dabei nur im Hinblick auf das ordnungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen vornehmen. So wurde bereits mehrfach die Unterschrift verweigert, weil die jeweils erforderliche Zustimmung des Bundesrates fehlte. Wenn ein Präsident der Meinung ist, dass ein Gesetz auch in der Sache verfassungswidrig ist, dann muss der Makel nach Ansicht vieler Verfassungsrechtler schon „schwer und offensichtlich“ sein. Daher ist das Köhler-Veto eine massive Kritik am Bundestag.
Eigentlich ist die verfassungsrechtliche Prüfung Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. In immerhin neun Fällen haben Bundespräsidenten deshalb ein fragwürdiges Gesetz zwar unterzeichnet, zugleich aber öffentlich Bedenken geäußert und somit eine Prüfung in Karlsruhe angeregt. Auch Horst Köhler ging im Januar 2005 diesen Weg, als er das Luftsicherheitsgesetz unterzeichnete, das den Abschuss entführter Passagierflugzeuge erlaubte. Im Februar hat Karlsruhe das Gesetz – auf Klage von Burkhard Hirsch und anderer FDP-Politiker – tatsächlich für verfassungswidrig erklärt.
1991 stand der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor einer ähnlichen Situation wie jetzt Köhler. Auch er stoppte eine Reform der Flugsicherung. Anschließend wurde, wie angeregt, sofort das Grundgesetz geändert.
Falls diesmal das Veto Köhlers nun wieder zu einer Grundgesetzänderung führt, könnte diese allerdings eine Verfassungsklage auslösen. Der Staatsrechtler Jörn Ipsen warnte gestern davor, „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ zu schaffen. Der Grundsatz des sozialen Rechtsstaats bestimme, dass der Staat für die Gefahrenabwehr selbst verantwortlich bleibt. Dieser Grundsatz dürfe im Grundgesetz nicht ausgehebelt werden. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen