: Hochstapler im Dienste der Aufklärung
Ihre zentralen Waffen sind „Identitätsdiebstahl“ und „Identitätskorrektur“. Das 3001 zeigt bis zum Dienstag die Dokumentation „The Yes Men“ über die Aktionen der gleichnamigen Kommunikationsguerrilla-Gruppe
Die ersten Erfahrungen mit der subtilen Kunst der Verunsicherung hat Jacques Servin bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Computerspiele-Hersteller Maxis, gesammelt. Er arbeitete gerade an dem Spiel „SimCopter“, als er einen Auftrag der Kultursaboteure von „RT[TM]Mark“ erhielt. Servin sorgte dafür, dass die virtuellen Passanten der simulierten Welt von „SimCopter“ sich dann und wann in sich küssende, halbnackte Männer verwandelten. Servin erhielt von RT[TM]Mark 5.000 Dollar für den Spaß – und wurde gefeuert.
Zu dieser Zeit lernte er Igor Samos kennen, der mit der „Barbie Liberation Organization“ ebenfalls bereits einschlägige Erfahrungen im Geschäft der Subversion gesammelt hatte. Die Organisation hatte sprechende Barbie- und G.I.-Joe-Puppen gekauft und die Voiceboxes der beliebten Spielzeuge ausgetauscht. Anschließend wurden sie in einer „Shopgiving“-Aktion wieder dem Einzelhandel zugeführt und warteten kurz darauf unter dem Weihnachtsbaum auf ihre zukünftigen BesitzerInnen – die, wie anzunehmen ist, überrascht gewesen waren, als ihre neuen Mini-Blondinen mit knurrender Stimme davon sprachen, dass ein Toter keine Geschichten mehr erzähle, während die Plastiksoldaten mit piepsiger Stimme „I wanna go shopping with you“ sagten.
Servin und Vamos schlossen sich zusammen und machten „Identitätsdiebstahl“ und „Identitätskorrektur“ zu ihren zentralen Waffen. Erste Aufmerksamkeit erregten die beiden, die sich nun „The Yes Men“ nannten, durch die Mitarbeit an einer gefakten Homepage von George W. Bush. Kurz darauf sicherten sie sich den Domainnamen gatt.org und richteten dort eine gefälschte Seite der Welthandelsorganisation WTO ein. Dabei waren sie so überzeugend, dass bald die ersten ernst gemeinten Anfragen per E-Mail eintrafen. Eine Gelegenheit, die die beiden Kommunikationsguerrilleros, die sich nun „Andy Bichlbaum“ und „Mike Bonanno“ nannten, sich nicht entgehen ließen.
Fortan vertraten sie die WTO immer öfter auch jenseits des virtuellen Raums. Sie nahmen Einladungen zu Kongressen in deren Namen an und stellten Interviewpartner für Fernseh-Diskussionen. So wurde der WTO-Generalvorsitzende Mike Moore im Mai 2000 zu einer Konferenz über internationale Handelsgesetze eingeladen – per E-Mail über die Seite der „Yes Men“. Die lehnten die Einladung im Namen Moores ab und schickten stattdessen „Dr. Andreas Bichlbauer“, der einen Vortrag über Freihandel und abzubauende Hindernisse hielt. Er schlug vor, dass der freie Markt einer Demokratie das Handeln mit Wählerstimmen zulassen müsse. Möglich werde das durch Internetseiten wie „Voteauction.com“. Selbst als „Dr. Bichelbauer“ Hitlers Wirtschaftspolitik lobte, blieben kritische Reaktionen seitens des Publikums aus.
In den folgenden Jahren wurden die Auftritte drastischer. Auf der „Towards the Globalization of Textile Trade“-Konferenz im finnischen Tampere forderte die „WTO“, aus Kostengründen Sklaven gleich in deren Heimat zu nutzen – und erhielt wiederum ausschließlich Applaus. 2002 in Plattsburgh schlug sie ein System zum Recyclen gegessener Nahrung vor, kurz darauf verkündete der vermeintliche WTO-Mitarbeiter „Kinnithrung Sprat“ die Auflösung und Neugründung der Handelsorganisation, die nun ausschließlich für die Armen arbeiten wolle. Nach dem Vortrag beeilten sich Konferenzteilnehmer, „Herrn Sprat“ Tipps zu geben, wie die Organisation den Armen wirklich helfen könne.
Der Film „The Yes Men“, der bis Dienstag im 3001 zu sehen ist, hat die Identitätskorrekteure in den ersten Jahren ihrer Arbeit begleitet. Die ist übrigens noch lange nicht getan. Infos über aktuelle Aktionen erhält man unter www.theyesmen.org.ROBERT MATTHIES