: Chindia nicht in Sicht
Podiumsdiskussion der „Le Monde diplomatique“ in Hamburg: Passend zur Neuauflage des „Atlas der Globalisierung“ erläuterten zwei Experten vor vollen Haus die Zukunft von China und Indien in Zeiten der Globalisierung
Mit seinem rasanten Wirtschaftswachstum ist China zur „Werkbank“ des Planeten aufgestiegen. Indien entwickelt sich gerade zum „Büro“ der Welt. Die Podiumsdiskussion der „Le Monde diplomatique“ zur Rolle der beiden asiatischen Riesen in der Globalisierung traf daher auf großes Interesse. Rund hundert junge wie alte Zuhörer informierten sich am Dienstagabend aus erster Hand über die jüngsten Entwicklungen vor Ort. Im Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg diskutierten der chinesische Journalist Shi Ming und die indische Journalisten Sonia Phalnikar. Sie vertrat die Ethnologie-Professorin Shalini Randeria, die kurzfristig absagen musste. taz-Asienredakteur Sven Hansen moderierte die Diskussion zur Neuauflage des „Atlas der Globalisierung“.
Die Diskussion betraf gleichermaßen eine Bestandsaufnahme und die Perspektiven der beiden Länder in der Globalisierung. Der Ausfall der Mikrofonanlage sorgte für äußerst konzentrierte und ruhige Zuhörer.
Shi berichtete von einem prosperierenden China, in dem die Globalisierung zugespitzt als Amerikanisierung wahrgenommen wird. Die Devise vieler Chinesen laute: „amerikanischer sein als die Amerikaner, um ganz vorne in der Welt zu stehen“. Seiner Meinung nach breiten sich in China nationalistisch-geopolitische und sogar faschistische Denkmuster aus.
In Indien hat die Wirtschaftsöffnung heute eine „ungeheure Vielfalt“ zur Folge, sagt Sonia Phalnikar. Sie sieht in ihrer Heimat einen „beispiellosen Konsumrausch und eine Wachstums-Euphorie“. Die Lobeshymnen der westlichen Medien auf Indiens Wirtschaft kann sie nicht nachvollziehen: „In Indien sind die Straßen völlig verstopft, die Infrastruktur ist überlastet und überall herrscht noch immer bittere Armut und Korruption.“ Verlierer ist jeweils besonders die arme Landbevölkerung. Gewinner sind die jungen, gut ausgebildeten Städter.
Globalisierungskritiker gibt es in beiden Ländern wenige bis keine. Umweltgedanken spielen ebenfalls eine untergeordnete Rolle. „Der Drei-Schluchten-Damm ist erst der Anfang“, sagt Shi. Viel gigantischere Wasserprojekten werden geplant.
Für die Chinesen ist Indien kein ernst zu nehmender Rivale auf der globalen Bühne. Umgekehrt ist der Vergleich dagegen alltäglich. „Chindia“, eine visionäre Zusammenarbeit vom Dienstleistungszentrum Indien mit dem Industrieland China, ist für Phalnikar und Shi „wenig vorstellbar“. NILS NABER