: Investitionen statt Alimenten
Das „Bürgergeld“ ist der Abfindungsgroschen von Konservativen. Um die Armut zu bekämpfen, brauchen wir dagegen eine investierende Politik der sozialen Teilhabe
Abfindung ist die Summe Geldes, die gezahlt wird, um einen Menschen für seinen Ausstieg aus dem Geschäft zu entschädigen. Das gilt für Unternehmer oder Anteilseigner ebenso wie für Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz räumen sollen. Man könnte das auch als eine Art „Stilllegungsprämie“ bezeichnen.
Was in der privaten Wirtschaft legitim und normal ist, wäre für unsere Gesellschaft als Ganze schlechthin fatal. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Politik, die Prämien dafür zahlt, dass Menschen nicht mehr zufassen, mitdenken, Ideen entwickeln und aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt verdienen.
Das „Bürgergeld“, wie es von Dieter Althaus und einigen anderen Konservativen ins Gespräch gebracht wird, ist nichts anderes als eine miserable staatliche Abfindungszahlung für den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit. Dieses Geld ist kaum mehr als ein Trostpflaster und Armutsgroschen. Es ist leistungsfeindlich und unsozial in einem. Das ist kein Zufall. Denn sozial ist eine Gesellschaft, die zum Mitmachen ermutigt. Und nur eine solche „inklusive“, motivierende Gesellschaft kann eine leistungsstarke Gesellschaft sein.
Die Offenheit, die wir individuellen Talenten und Leistungen entgegenbringen, und der Anreiz, mit dem wir die Anstrengungen der Menschen fördern und fordern, tragen erstens zur wirtschaftlichen Erneuerung bei und festigen zweitens den sozialen Zusammenhalt. Genau in diesem Sinne sind Leistung und Solidarität unzertrennliche Ziele, denen wir uns verschreiben müssen, um in Deutschland wieder eine entschiedene und zuversichtliche Aufbruchsstimmung zu wecken.
Die große, klebrige Zuckerwatte, zu der das kleine „Bürgergeld“ aufgeplustert wird, sieht deshalb so verlockend aus, weil sie dem Einzelnen bedingungslos gewährt wird. Das ist verführerisch für alle, denen die Bedarfsprüfungen der bisherigen Grundsicherung gegen den Strich gehen. Es erscheint verheißungsvoll für alle, die glauben, dass die Erwerbsgesellschaft an ihr Ende kommt und dass uns die Arbeit ausgeht. Doch: So bedingungslos das Geld jedem Bürger gezahlt wird, ohne Kosten ist es nicht zu haben. Besonders die Gesellschaft zahlt dafür einen hohen Preis.
Erstens sagen die marktradikalen Vordenker des Modells ganz klar, dass es um die Abschaffung des Sozialstaats und der Sozialpolitik geht. Sie verrechnen die Kosten des bestehenden mit denen des neuen Systems. Alle Leistungen der Ausbildungs- und Beschäftigungsförderung, der Weiterbildung und Qualifizierung, alle Zweige der Sozialversicherung, die solidarische Absicherung von Gesundheitsrisiken, von Arbeitslosigkeit und Alter werden abgewickelt und eingestellt. Mit dem „Bürgergeld“ sollen fortan sämtliche Solidaransprüche, die wir an unser Gemeinwesen haben, abgegolten sein. Der Rest ist Privatsache.
Umso entscheidender ist da natürlich zweitens, wie die Rechnung konkret aussieht. In der Althaus-Variante soll jeder erwerbslose Erwachsene 800 Euro bekommen, von denen 200 Euro Kopfpauschale für eine Basiskrankenversicherung abgezogen werden. Bleiben also 600 Euro für alle anderen Ausgaben einschließlich der Wohnung. Niemand soll erwarten, dass er als Arbeitsloser mit Althaus mehr hätte als heute. Er würde in der Regel weniger haben, das Armutsrisiko würde zunehmen.
Die Crux dabei ist, dass dieses Weniger noch nicht einmal zu einem Mehr im Sozialbudget des Staates führt. Das Modell rechnet mit Geld, das noch gar nicht eingenommen ist. Heute werden 60 Prozent aller Sozialausgaben aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bestritten. Das summiert sich auf rund 425 Milliarden Euro. Schon erworbene Ansprüche etwa in der Rentenversicherung müssen weiter ausgezahlt werden. Der Staat müsste für den radikalen Systemwechsel einspringen und viel Geld zusätzlich ausgeben. Das ist illusorisch, zumal nichts über die notwendige Steuerbasis des Staates gesagt wird.
Hinzu kommt – und das ist noch wichtiger: Das Modell denkt sich soziale Sicherheit als passive Versorgung, letztlich als eine allgemeine Staatsrente. Das ist nicht nur eine materielle Frage, sondern vor allem eine des Menschen- und Gesellschaftsbilds. Sie lässt sich nicht dadurch beantworten, dass man das Freigeld auf höheres Niveau hebt. Hier lohnt ein Blick in die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, die unter dem Titel „Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität“ erschienen ist. Die soziale Hauptanforderung wird dort als Teilhabegerechtigkeit beschrieben und zu Recht unter das Prinzip eines Vorrangs der Aktivierung vor der Versorgung gestellt.
In einer sozialen und demokratischen Gesellschaft ist der Mensch nicht nur Empfänger von etwas. An erster Stelle ist er ein Mitgestalter, der etwas beizutragen hat. Er ist Teilhaber am öffentlichen Interesse. Diese Gesellschaft lebt von der Verantwortung, der Selbstbestimmung und der vollen Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. So verstanden, zahlt der anzustrebende vorsorgende Sozialstaat eben keine Alimente, sondern investiert in das Humanvermögen. Vermögen als das Können, die Kompetenz, die Chance der Menschen und dann auch als der Wohlstand der Gesellschaft.
Das konservative Sozialdenken ist dagegen eine zutiefst resignierende Haltung. In den zurückliegenden Jahren hat die SPD-geführte Bundesregierung begonnen, Arbeitslose, die arbeiten können und wollen, vom Abstellgleis der Sozialhilfe in die aktivierende Arbeitsvermittlung einzubeziehen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende hat für diese Menschen eine echte Besserung gebracht. Das konservative Bürgergeldmodell setzt nun der alten Sozialhilfe einen neuen Hut auf. Es ist die alte Unfähigkeit der Ära Kohl, die Herausforderungen einer sich dynamisch verändernden Ökonomie mit einem Konzept der ermutigenden und aktivierenden Sozial-, Bildungs- und Familienpolitik zu beantworten.
Die Arbeitswelt verändert sich, aber die Erwerbsgesellschaft ist deshalb noch lange nicht am Ende. Ob Wertschöpfung stattfindet, hängt in hohem Maß von der Innovationskompetenz einer Gesellschaft ab. Diese Kompetenz fällt uns nicht wie ein Sterntaler in den Schoß. Sie muss immer neu erworben und erarbeitet werden. Im gesamten Feld technischer, finanzieller und sozialer Dienstleistungen, in der industriellen Fertigung hochwertiger Güter gibt es auch in Zukunft Arbeit zu tun. Allerdings ist noch nicht entschieden, ob wir oder andere sie tun.
Arbeit entsteht, wo Werte entstehen, die Bedarf und Nachfrage befriedigen. Eine Gesellschaft, die an ihre Leistungsfähigkeit glaubt, setzt darauf, das menschenmögliche Maß an Wissen, Intelligenz, Arbeitskraft und Kapital zu mobilisieren, damit neue Arbeitsplätze entstehen, wo alte fortfallen, und sie sorgt durch öffentliche Bildungsinvestitionen vor, damit die Bürgerinnen und Bürger von Getriebenen zu Gestaltenden dieses Wandels werden. OLIVER SCHMOLKE