: Iran-Connection sorgt für neuen Wirbel
Wegen des Anschlags auf das jüdische Kulturzentrum Amia in Buenos Aires möchte ein argentinischer Sonderermittler den iranischen Expräsidenten Rafsandschani festnehmen lassen. Anklageschrift wärmt alte Erkenntnisse von CIA und Mossad auf
AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER
Zwölf Jahre nach dem Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum Amia in Buenos Aires sorgt ein neues Gutachten der argentinischen Staatsanwaltschaft für Wirbel. Zwei von Präsident Néstor Kirchner eingesetzte Sonderermittler machen darin erstmals die iranische Regierung für die Autobombe verantwortlich, die im Juli 1994 85 Tote und über 300 Verletzte gefordert hatte. Von einem Bundesrichter fordern sie die Ausstellung internationaler Haftbefehle gegen den damaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, zwei seiner damaligen Minister, zwei Diplomaten und drei führende Milizionäre.
„Der Angriff wurde von der libanesischen Terrororganisation Hisbollah im Auftrag der obersten Autoritäten der damaligen iranischen Regierung ausgeführt“, sagten die Staatsanwälte Alberto Nisman und Marcelo Martínez am Mittwoch. Der auf einem Treffen im August 1993 beschlossene Anschlag sei ein Racheakt gegen Argentinien, weil der damalige Präsident Carlos Menem zwei Jahre zuvor auf Druck der USA einen 30-Millionen-Dollar-Vertrag über die Lieferung argentinischer Atomtechnologie an Iran platzen ließ, heißt es in ihrem 800-Seiten-Dokument. Der damals 21 Jahre alte Selbstmordattentäter, der die Autobombe zündete, sei als Hisbollah-Mitglied identifiziert worden, sagte Nisman.
Die US-Botschaft in Buenos Aires teilte mit, Washington beglückwünsche die argentinische Regierung für die Ausdauer, mit der sie die Untersuchung über das „tödlichste antisemitische Attentat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“ vorantreibe.
Auch jüdische Verbände in den USA und Argentinien lobten das Gutachten der Sonderermittler. „Es ist ein schlagender Beweis für die Verantwortung Irans und der Hisbollah“, erklärte Jorge Kirszenbaum vom Dachverband der israelischen Organisationen in Argentinien (Daia), „das sagen wir schon seit fast zwölf Jahren“.
Mit rund 300.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Argentinien die größte und bestorganisierte in Südamerika. Zu jedem Jahrestag des Amia-Anschlags veranstaltet sie große Gedenkfeiern. Als Kirchner in diesem Jahr zu einem Staatsbesuch nach Paraguay fuhr, musste er sich herbe Kritik gefallen lassen. „Es ist ein mutiges Gutachten“, sagte Pablo Jacoby von der Gruppe Aktive Erinnerung, „wir sind nicht gegen den Islam, sondern gegen den Terrorismus.“ Das Außenministerium lobte den Bericht als „großen Fortschritt“.
Die Presse hingegen gab sich übereinstimmend skeptisch. „Beim Fall Amia, der vor Lügen, journalistischen Operationen, falschen Klarstellungen und fehlenden Beweisen nur so strotzt, ist äußerste Vorsicht angesagt“, schrieb die konservative Tageszeitung La Nación. So tauchten die acht Angeklagten bereits in einem ähnlichen Antrag von Staatsanwalt Nisman aus dem Jahr 2003 auf. Das Gutachten enthalte keinerlei neue Erkenntnisse über die Umsetzung des Attentats, Hypothesen würden als Beweise dargestellt. Die Ermittler schrieben die „offizielle Amia-Geschichte“ fort und ignorierten die Rolle der argentinischen Behörden völlig.
„Es ist sehr schwer, zu beweisen, wer der Anstifter war, wenn es fast gar keine Daten über die Täter gibt“, wendete die linksliberale Página 12 ein. Ebenso gut wie die iranische Regierung könnte hinter dem Anschlag ein „Grüppchen von Fanatikern mit Wohnsitz in Argentinien“ stecken. Ähnlich hatte der mittlerweile abgelöste Richter Juan José Galeano argumentiert. Das Gutachten komme „fast maßgeschneidert“ nach einem Treffen von Präsidentengattin Cristina Kirchner und Außenminister Jorge Taiana mit sieben einflussreichen jüdischen Organisationen in New York, so Página 12. Der liberale Clarín hob hervor, dass die Ermittler eine 2004 ins Spiel gebrachte „syrische Spur“ vernachlässigen und sich wie schon 1994 fast ausschließlich auf die Berichte der CIA und des israelischen Geheimdiensts Mossad stützen.
Als „effekthascherische Erklärung“ bezeichnete Laura Ginsberg von der „Gruppe für die Aufklärung des straflosen Amia-Massakers“ das Gutachten. „Die Staatsanwaltschaft reagiert auf den Druck und die Anforderungen, die sie über Präsident Néstor Kirchner von den Regierungen der USA und Israels bekommt, damit der Fall abgeschlossen und dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus übergeben wird“, meint die Aktivistin, die damals ihren Mann verlor. In Argentinien gebe es eine „Kontinuität der Vertuschung“ von Menem bis Kirchner, sagt Ginsberg. Vor zwei Jahren waren 22 argentinische Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Auch Menem wurde schon wegen seiner syrischen Herkunft der Mitwisserschaft verdächtigt. Unaufgeklärt bleibt auch der Anschlag auf die israelische Botschaft 1992, bei dem 29 Menschen starben.
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