Mit Downsyndrom aufs Gymnasium

GEMEINSAM LERNEN Kein Kind oder Schüler sollte als „andersartig“ angesehen werden. Alle sollten die gleichen Bildungschancen bekommen. Dafür steht das Modell der Inklusion. Doch wie weit funktioniert es? Endet es am Übergang zum Gymnasium?

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Entweder das Gymnasium wird durch eine Einheitsschule ersetzt, oder „Inklusion“ geht nicht. Nun weiß man aber seit Hamburg, dass die Abschaffung des Gymnasiums der sicherste Weg ist, die nächste Wahl zu verlieren. Da muss die Politik sich entscheiden. Jedenfalls können nicht die „normal“ weniger begabten Kinder vom Gymnasium geschickt werden, und die „besonders“ Andersbegabten dürfen bleiben. Die Entscheidung ist zwischen Partizipation und Leistung zu treffen. Was es nicht leichter macht, ist, dass gleichzeitig Tausende von Lehrerstellen gestrichen werden. GUIDO-NRW, taz.de

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Es gibt Menschen mit Downsyndrom, die haben ein Hochschulstudium abgeschlossen. Warum sollte der Junge einen ordinären Schulabschluss also nicht schaffen können? Im Artikel wird eine ungünstige Prognose gegeben. Die Frage ist aber: Liegt das am Kind oder am mangelhaften Überblick der Erwachsenen?

DHIMITRY, taz.de

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Der Untergang bürgerlicher Bildungskultur wird kaum in der Aufnahme von Schülern mit Downsyndrom auf einem solchen Gymnasium besiegelt werden. Bedenklich ist doch, dass die Eltern argumentieren, dass die bisherige Umgebung des Kindes nur dann bestehen bleiben kann, wenn es auf das Gymnasium wechselt. Als ich aufs Gymnasium ging, war das für mich ein vollständiger Umgebungswechsel. Das hatten nur vier in der Klasse meiner Grundschule gemacht. Heute ist das Gymnasium, zumindest so eines da in Walldorf in Baden-Württemberg, die Regelschule offenbar. Warum auch nicht? Taxifahren, Putzen gehen und Hartz IV empfangen kann man auch mit Abi. Die Zuordnungsfunktion hat dieses dreigliedrige Schulsystem längst verloren. Damals waren kaum Schüler auf dem Gymnasium, deren Eltern es nicht schon besucht hatten. Bestimmt keine sinnvolle Selektion.

AGE KRÜGER, taz.de

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Regelschulen fordern von ihren Schülerinnen und Schülern eine definierte Wissensleistung für jede Klassenstufe. Allen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Besonderheiten muss ermöglicht werden, den Weg hierfür zu beschreiten, wenn notwendig mit besonderer Unterstützung. Das ist Inklusion. Wird die Wissensleistung nicht erbracht, muss die Klassenstufe wiederholt oder die Schulart gewechselt werden. Auch das gehört zur Inklusion. BIRGIT KNOBLAUCH, taz.de

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Empathie und soziale Intelligenz werden als wertlos betrachtet, von vielen gar nicht bewusst wahrgenommen. Wir sind Menschen, keine kleinen Computer. Eine armselige Entscheidung der Schule. Das wäre eine großartige Erfahrung für die „normalen“ Schüler und ihre Eltern geworden, die sie sich aus kleinherziger Angst selbst verbaut haben. Traurig für alle Beteiligten. TZAPATU, taz.de

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Ich habe den Fall schon aus beruflichem Interesse genauer verfolgt, speziell über die lokalen Medien. Daraus gingen folgende Fakten hervor: Selbst die Eltern sagen klar, dass er nie einen Schulabschluss schaffen wird, da er noch nicht mal richtig lesen kann. Den Eltern wird über eine Bildungswegekonferenz sowohl ein sonderpädagogisches als auch ein inklusives Angebot gemacht. Nur, die Eltern wollen unbedingt ein bestimmtes Gymnasium durchsetzen, etwas, das auch sonst nicht geht. Und vor allem haben sich die Eltern von aktuellen Mitschülern geäußert, und zwar dergestalt, dass sie die Inklusion auf keinen Fall fortsetzen möchten und eher ihre Kinder woanders anmelden als sie fortzuführen, und zwar wegen der Erfahrungen mit der Inklusion, vor allem aber mit den Eltern des Jungen.

Somit klingt die Forderung, er müsse unbedingt aufs Gymnasium, um mit seinen „Freunden“ zusammenbleiben zu können, leicht absurd. Da geht es um ganz andere Dinge. Da fragt man sich schon: Geht es hier um das Wohl des Kindes? LEHRERIN, taz.de

■ betr.: „In eigener Sache“, taz vom 23. 4. 14

Das ist ja mal richtig nett zu lesen, dass sich eine Fachhochschule (FH) des Themas Menschen mit Behinderung als Dozenten annimmt. Die Probleme, die Frau Lenz schildert, lassen sich relativ leicht lösen. Wenn es Zweifel gibt, dass ein Dozent mit Behinderung eine Prüfung auf Hochschulniveau abnehmen kann, sollte man die Prüfungskriterien und Prüfungsinhalte auf dem Hintergrund des Inklusionsgedankens neu denken und nicht an dem Dozenten mit Behinderung zweifeln. Das Gleiche gilt für die Bewertung wissenschaftlicher Referate. Es ist an der Zeit, dass sich Wissenschaft neu definiert. Was nützt uns reines Faktenwissen, wenn der Mensch in weite Ferne gerückt ist, zumal es sich hier um den Studiengang „Soziale Arbeit“ und Inklusion handelt.

Was die Frage nach dem Status im akademischen Gefüge betrifft, könnte die FH Kiel ja Vorreiter sein und das begrenzende hierarchische Akademikergefüge auflösen, ganz im Sinne der Inklusion. Interessant wäre auch, wer das Projekt wissenschaftlich begleitet, um später die Frage: Reicht Lebenserfahrung, um zu unterrichten, und nehmen die Studenten die Lehrkräfte ernst?, zu beantworten, und wie lang diese Begleitung geht. Um darauf eine umfassende Antwort zu erhalten, ist es notwendig, die Begleitung nach Studienende fortzuführen. Nur in der praktischen Umsetzung lässt sich erkennen: Was haben die Studenten gelernt, wie können sie es umsetzten, und welche Wirkung hat es auf die Behinderten, mit denen sie arbeiten?

Die derzeitigen Studenten haben den ersten Teil der Frage schon klar beantwortet. Sie genießen die Diskussion auf Augenhöhe, den echten Austausch, und es gibt eine Wahrnehmung dafür, dass die Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung nicht groß sind. Beste Voraussetzungen, um aus einem Projekt im Bereich Inklusion eine dauerhaft gelebte Inklusion zu machen.

ANGELA VOM BAUR, Straubenhardt

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

Traurig ist es, dass die Eltern ihr Kind unbedingt aufs Gymnasium schicken wollen. Empathie und soziale Intelligenz hin oder her, letztlich kommt es auf messbare schulische Leistungen an. Was denken Sie denn, was dem Kind angetan wird, wenn es nach ein paar Wochen merkt, dass es doch deutlich anders ist als die anderen, anders hinsichtlich der schulischen Leistungen, und sich dieser Leistungsabstand von Woche zu Woche vergrößert? Und das wollen Sie acht oder neun Jahre durchziehen? Und danach geht’s dann in die Uni? MRO, taz.de

■ betr.: „In eigener Sache“, taz vom 23. 4. 14

Ach, wäre es schön, wenn solche Projekte zum Standard jeder sonder- und sozialpädagogischen Ausbildung würden! Ich unterrichte unter anderem „unterstützte Kommunikation für Menschen ohne Lautsprache“ als freiberufliche Dozentin und arbeite auch häufig mit KoreferentInnen, die zum Teil umfassende Behinderungen haben. Nur sie sind die einzigen wirklichen SpezialistInnen für hoch komplizierte Sachen wie Partnerscanning, Multimodalität oder Sprachcomputer mit Augensteuerung und digitaler Sprachausgabe.

Meine die Hilfsmittel nutzenden KollegInnen beeindrucken die SeminarteilnehmerInnen nachhaltig und effektiv. Würde ich diese ganzen Themen lediglich theoretisch „runterbeten“, würde mir das Seminar binnen kürzester Zeit einschlafen und zu dem Schluss kommen: zu teuer, zu kompliziert, zu zeitaufwendig, ist für mich und für unsere Einrichtung nicht zu leisten.

Leider ist aber die Finanzierung für die Beschäftigung dieser ExpertInnen häufig das Problem: Da die Bildungsträger auch einem Spardiktat unterliegen, kann ich es mir überlegen, ob ich das Honorar und die meist sehr hohen Kosten für den Rollifahrdienst und die AssistentInnen aus meiner eigenen Tasche zahle oder ob es dieses praxisnahe Angebot dann eben nicht gibt. Denn die Bildungsträger sind häufig mit meinen eigenen Honorarforderungen schon am Limit. RITA-MARIA DONHAUSER, München

■ betr.: „Zu behindert fürs Gymnasium“, taz.de vom 19. 4. 14

So wie Henris Eltern habe ich vor mehr als zehn Jahren in Berlin auch argumentiert. Mein Sohn Camilo (25, Downsyndrom) ging sechs Jahre lang in eine Integrationsklasse in der Grundschule, bevor sich die Frage nach der weiterführenden Schule stellte. Die Schule, die Camilo sich ausgesucht hatte, hätte ihn gern genommen, aber die Schulen für Integration (nicht Inklusion!) waren nach Stadtteil vom Senat bestimmt, und diese Schule fiel nicht unter die ausgewählten.

Der Leiter einer Förderschule sagte mir am Telefon, dass mein Sohn sicher in der Förderschule zu den Gut-Leistern gehören würde. Ich aber wollte eine Schule, auf der Camilo Anregung und Anforderung finden konnte. Camilo ging dann auf die Parzival-Waldorfschule für Kinder mit geistigen Einschränkungen. Er gehörte dort zum „Mittelfeld“, hatte Erfolgserlebnisse. Die Klasse war klein, und die Lehrer/innen nahmen sich viel Zeit. Die Schüler/innen lernten hier auch, Rücksicht auf weniger Gewandte und Langsamere zu nehmen, Hilfe anzunehmen und sich als Gemeinschaft zu fühlen.

Zu einem späteren Klassentreffen der alten Grundschulklasse wurde auch Camilo eingeladen, aber es wurde sehr schnell deutlich, wie groß der Unterschied zwischen ihnen geworden war. Camilo interessierte sich noch für Autos und Benjamin Blümchen, sicher auch für Michael Jackson, aber die Jungs und Mädchen hatten vollständig andere Gesprächsthemen und Bedürfnisse. Nach einer Stunde riefen sie mich an, weil sie um die Häuser ziehen wollten und ich Camilo abholen sollte. Heute denke ich, es war gut für meinen Sohn, die Sekundarstufe in einem „geschützten Raum“ zu absolvieren, der ihm auch die Möglichkeit gab, als Person zu wachsen, mal besser als andere zu sein und diesen etwas zeigen zu können.

Was das deutsche Schulsystem und seine Inklusionsbemühungen angeht, wird so lange nichts daraus, wie das dreigliedrige System mit seinen Förderschulen erhalten bleibt. Inklusion wird auf dem Rücken der Kinder und der ungenügend ausgebildeten (ängstlichen und überforderten) Lehrer/innen ausgetragen und muss notwendigerweise scheitern.

Schule muss die Bedingungen für Inklusion strukturell schaffen. Wenn die Förderschulen aufgelöst sind und alle Kinder in dieselbe Schule gehen und alle Lehrer/innen (Sonderpädagog/innen, „normale“ Lehrer/innen) gemeinsam Unterricht machen können, hat Inklusion eine Chance. Dann findet ein Schüler wie Henry auf dem Schulhof und in der Klasse auch Freund/innen, die ähnliche Interessen und Wünsche haben wie er, und muss nicht als einziges Kind mit Downsyndrom und 550 anderen Schüler/innen immer wieder erfahren, wie anders er doch ist.

Mein Sohn ist ein selbstständiger, fröhlicher und meist gut gelaunter Mensch, aber er hat mir auch schon so oft gesagt: „Mama, ich will kein Downsyndrom haben, mach mir das weg, ich will so sein wie die anderen auch.“ Und es ist für ihn kein Trost, dass ich ihm dann sage, wie einzigartig und toll er ist. Bei diesem Satz und der Vorstellung, dass 90 Prozent aller Downsyndromschwangerschaften schon heute abgebrochen werden, wäre Inklusion wirklich angesagt, und zwar so, dass sich die Frage, auf welche Schule ein Kind gehen kann, erst gar nicht stellt.

Heute lebt Camilo in einer betreuten Wohngemeinschaft. Die Rotation des Personals ist sehr hoch. Camilo muss sich immer wieder mit neuen Betreuungspersonen anfreunden und sich auf diese einstellen; das Gleiche gilt für seine Arbeit.

Solange die Freunde aus Henris alter Klasse noch seine Freunde sein werden, können die Eltern das auch außerhalb der Schule organisieren, irgendwann wird Henri sowieso andere Menschen und Freunde treffen. Ich kenne das Argument von Henris Mutter gut und habe es zu seiner Zeit auch so vertreten, aber auch wir müssen uns immer wieder auf neue Personen einstellen und lernen von ihnen, warum sollten Menschen mit Downsyndrom das nicht können/dürfen?

So wie das jetzige Schulsystem in Deutschland ist, ist ein Wechsel auf die Förderschule (wenn sie gut ist) für Henri vielleicht das Beste, was ihm passieren kann. Einer allein ist definitiv für ein Gymnasium zu wenig! Wenn schon, dann sollten es die zehn bis 15 Prozent der Schüler/innen sein, die den Prozentsatz von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft repräsentieren. Dann lernen auch die Lehrer/innen dazu und gemeinsam mit diesen Kindern.

BARBARA KLOSS-QUIROGA, Berlin