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Archiv-Artikel

Das Spiel mit den Christen

SYRIEN Das Assad-Regime schützt die religiösen Minderheiten nicht, es benutzt sie – und ist mit seiner Propaganda erfolgreich

Friederike Stolleis

■ studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften und promovierte über „Öffentliches Leben in privaten Räumen. Muslimische Frauen in Damaskus“. Seit 2012 arbeitet sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung über Syrien.

Mit einem seltenen Auftritt außerhalb der Hauptstadt überraschte der syrische Präsident Baschar al-Assad zum Ostersonntag. In Begleitung von einigen Bischöfen besichtigte er zerstörte Ikonen in zerstörten Klöstern in der christlichen Kleinstadt Maalula, nordöstlich von Damaskus. Das Staatsfernsehen war mit von der Partie. Maalula war im vergangenen Dezember von islamistischen Milizen besetzt und eine Woche vor Ostern von der syrischen Armee zurückerobert worden.

Die Botschaft ist eindeutig: Assad präsentiert sich als Alternative zum islamistischen Terror. Seit drei Jahren wiederholt sie das Regime bei jeder Gelegenheit – mit Erfolg. Denn auch in den deutschen Medien wird die Frage, ob es sich bei dem Diktator nicht doch um die bessere Option – zumindest für die Minderheiten und insbesondere die Christen – handele, regelmäßig aufgegriffen.

Der Konfessionalismus

In seiner mehr als vierzigjährigen Herrschaft hat das syrische Regime gelernt, die unterschiedlichen Konfessionen gegeneinander auszuspielen, wobei den Christen eine Sonderrolle zufällt, denn sie erfreuen sich im Westen besonderer Beliebtheit. Mit ihnen lässt sich also punkten.

Tatsächlich lebten Christen, Muslime und andere Religionsgemeinschaften in Syrien seit vielen Jahrhunderten friedlich zusammen. Von vielen wurde das mit Stolz als Besonderheit ihres Landes empfunden. Trotzdem waren unter der friedlichen Oberfläche die konfessionellen Vorbehalte und Vorurteile deutlich ausgeprägt. Diese wurden aber vor allem im privaten Rahmen kultiviert, da es sich um ein Thema handelte, das nicht öffentlich diskutiert werden konnte.

Baschar al-Assad nutzt den Konfessionalismus seit Beginn der Revolution für seine Zwecke. Gleichzeitig ist die Angst vor einer Machtübernahme durch islamistische Kräfte nachvollziehbar. Das sehen nicht nur Angehörige von Minderheiten, sondern auch säkulare oder moderate Sunniten in Syrien so.

Die Christen und die anderen konfessionellen Minderheiten in Syrien befinden sich ja schon allein zahlenmäßig in einer Position der Schwäche. Die zunehmende Präsenz islamistischer Milizen in den Gebieten außerhalb der Kontrolle des Regimes und die von ihnen verübten Verbrechen verstärken den Wunsch nach einem Beschützer. Und das syrische Regime fördert und steuert diese Ängste, um seine Macht zu erhalten. Er sei sich noch nie so sehr seiner Identität als Christ bewusst gewesen wie in den letzten zwei Jahren, erzählte mir jüngst ein Ingenieur aus Damaskus, der Syrien inzwischen verlassen hat. Er nämlich wird in aller Regel an einem Regime-Checkpoint nach einem Blick auf seinen Ausweis freundlich durchgewinkt, während sein muslimischer Kollege eine Durchsuchung und unangenehme Fragen über sich ergehen lassen muss. Und der am Checkpoint drangsalierte Muslim fragt sich unter Umständen auch, womit sein christlicher Kollege dieses Privileg verdient hat.

Misstraut den Würdenträgern

Die Bilder von Baschar al-Assad, der gemeinsam mit den Bischöfen das Osterfest feiert, sind also sorgsam ausgewählt, denn sie erwecken den Eindruck, eine Bevölkerungsgruppe stehe geschlossen aufseiten des Regimes. Unterdessen sterben an diesem selben Ostersonntag im gesamten Land Menschen, weil sie seit Monaten vom Zugang zu Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung abgeschnitten sind und die syrische Luftwaffe Wohnviertel mit den berüchtigten Fassbomben bombardiert.

Warum aber übernehmen so viele westliche Beobachter diesen offiziellen Diskurs des Assad-Regimes? Allzu gern zitieren sie als Vertreter der syrischen Christen christliche Würdenträger. Dabei wird oft deren Nähe zum Regime übersehen. Die Repräsentanten der syrischen Kirchen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weder neutral noch rein religiöse Figuren, sondern in der Mehrheit Teil des Regimes. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die offiziellen islamischen Würdenträger.

Nur selten kommen diejenigen Christen zu Sprache, die sich von den Kirchenoberen nicht vertreten fühlen. Diese könnten ja darauf hinweisen, dass Syrer aller Konfessionen unter der Unterdrückung durch das Regime gelitten haben und leiden. So wie jetzt syrische Christen bei Weitem nicht nur durch islamistische Extremisten, sondern, wie alle anderen auch, durch Bombardierungen, willkürliche Verhaftungen und Entführungen vonseiten des Regimes bedroht sind. Viel wird geschrieben über die Christen, die ihre syrische Heimat verlassen müssen, ohne dabei zu erwähnen, dass die Hälfte der syrischen Bevölkerung auf der Flucht ist, allen voran die sunnitische Bevölkerungsmehrheit.

Dass manche Christen das Assad-Regime unterstützen, bedeutet nicht, dass das Regime die Interessen der Christen vertritt

Kein politischer Frühling

Offensichtlich erregt ein Bericht über Christenverfolgung in Syrien mehr Interesse und mehr Mitgefühl als die Beschreibung des Leidens muslimischer Flüchtlinge oder Berichte, dass Menschen zu Tode gefoltert wurden. Ist dies so, weil ein solcher Bericht unser Bild vom Islam als Bedrohung der westlich-christlichen Zivilisation bestätigt? Weil er wieder zurechtrückt, was der Arabische Frühling in unserem Vorverständnis von der arabisch-islamischen Welt durcheinandergebracht hat, als wir für kurze Zeit staunend auf die sympathischen jungen Menschen schauten, die für Demokratie und Freiheit auf die Straße gingen und uns so ähnlich schienen?

Von einem politischen Frühling kann in Syrien keine Rede mehr sein. Trotzdem gibt es nach wie vor die friedliche und vernünftige Mehrheit, die weder von Assad noch von den Islamisten beherrscht werden will. Das syrische Regime kann kein Partner bei der Bekämpfung islamistischer Gruppen sein, an deren Fortbestand es für seine Selbstdarstellung ein existenzielles Interesse hat. Auch ist Baschar al-Assad kein Beschützer der Minderheiten. Er nutzt diese, um an der Macht zu bleiben. Dass manche Christen das Assad-Regime unterstützen, bedeutet nicht, dass das Regime die Interessen der Christen tatsächlich vertritt.

Die Berichterstattung über Syrien darf sich nicht vor den Karren des Regimes spannen lassen, dazu steht zu viel auf dem Spiel. Auch für die syrischen Christen. FRIEDERIKE STOLLEIS