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Archiv-Artikel

„Rechtsextreme gelten als cool“

INTERVIEW ASTRID GEISLER UND DANIEL SCHULZ

taz: Herr Minister, in keinem Bundesland entwickelt sich die Bedrohung von rechtsaußen derzeit so dramatisch wie in Sachsen-Anhalt …

Holger Hövelmann: Einspruch. Die Entwicklung ist in Sachsen-Anhalt genauso negativ wie im übrigen Teil des Landes.

In den jüngsten Statistiken über rechtsextreme Straftaten liegt Sachsen-Anhalt aber vorn – wenn man die Zahl der Fälle auf die Bevölkerung umlegt. Zuletzt gab es eine Steigerung um die 50 Prozent. Warum ist das so?

Ich gebe ganz offen zu: Mich bestürzt diese Entwicklung. Sachsen-Anhalt hat hier ein großes Problem. Es ist ein Zukunftsproblem, denn es bedroht unser Image, die wirtschaftliche Entwicklung – ganz zu schweigen von der Lebensqualität. Woher kommt das? Seien wir ehrlich: Das kann doch so genau niemand beantworten.

Sie haben eine 17-jährige Tochter. Wie sieht sie die Situation?

Meine Tochter hat da zum Glück eine ganz klare Position, die läuft zurzeit mit solchen Aufnähern mit durchgestrichenem Hakenkreuz herum …

Moment, ist das nicht verboten?

Strafbar ist nach Auffassung der Stuttgarter Richter nur der Handel. Und im Übrigen hat die Bundesjustizministerin ja eine Gesetzesänderung angekündigt.

Das heißt, Sie reden ihr das nicht aus?

Im Gegenteil. Ich finde, wir sollten froh sein über alle, die ihre Abneigung gegen diese Ideologien so offen zum Ausdruck bringen. Es gibt ja auch das Gegenteil. In einigen Jugendcliquen erhalten rechtsextreme Straftäter inzwischen Anerkennung für ihre Taten, die gelten als cool. Das ist unerträglich, aber es ist so.

Wir stehen mitten in einer neuen Unterschichtendebatte. Welchen Anteil hat die Perspektivlosigkeit und der wachsende Frust ganzer Bevölkerungsschichten am Aufstieg der Rechtsextremen?

Die soziale Spaltung in unserem Land greift als Erklärung zu kurz. Denn die Taten finden ja nicht nur in den sozial schwierigen Plattenbauvierteln statt. Im Gegenteil: Die Vorfälle, die zuletzt in Sachsen-Anhalt für Empörung sorgten, ereigneten sich in beschaulichen, kleinen Orten – also da, wo man sagen müsste: Das ist doch eine ziemlich heile Welt.

Wenn die soziale Situation nicht der Hauptgrund ist, wie sieht es mit der Vergangenheit aus? Gerade in den letzten Jahren ihres Staates schlugen DDR-Politiker nationalistische Töne an, der Staat kasernierte seine wenigen Ausländer. Besteht da ein Zusammenhang?

Die rechtsextremen Straftäter sind in den allermeisten Fällen unter 25 Jahre – also nicht in der DDR sozialisiert. Es gibt diesen Zusammenhang nicht.

Die Straftäter haben aber Eltern, die eine DDR-Erziehung genossen haben.

Und?

Sie weisen also jeden Zusammenhang zwischen einer DDR, die Punks härter verfolgte als die seit den 70ern aufkommenden rechtsextremen Gruppen, und den heutigen Problemen zurück?

Ja, ich halte solche Thesen für völlig absurd. Ich bin selbst in diesem Land groß geworden und habe die letzten Jahre der DDR bewusst erlebt. Ich kann diese Argumentation nur schräg finden.

Woher kommt dann diese Fremdenfeindlichkeit, dieser starke Antisemitismus?

Viele Menschen in Sachsen-Anhalt sind im Umgang mit Fremden ungeübt. Viele kennen keinen einzigen Ausländer – das führt zweifellos zu einer latenten Feindseligkeit. Das liegt tatsächlich daran, dass man in Ostdeutschland seit Jahrzehnten kaum Gelegenheit hat, ausländische Kulturen kennenzulernen. Dazu kommen eine fehlende Wertevermittlung in der Schule und eine Art mangelnde Nestwärme, welche die Neonazis ihren Anhängern versprechen.

Würden Sie einem dunkelhäutigen Studenten guten Gewissens empfehlen, nachts in Magdeburg Straßenbahn zu fahren?

Diese Debatte über No-go-Areas will ich mir nicht aufdrängen lassen. Menschen aus anderen Kulturen dürfen nicht das Gefühl haben, Sie seien hier nicht willkommen. Wenn es so weit käme, hätten nämlich die Rechten gewonnen.

Würden Sie ihm also die nächtliche Fahrt mit der Straßenbahn empfehlen oder nicht?

Ich kann zumindestens verstehen, dass jemand nicht ganz unbefangen durch Magdeburg, Potsdam oder Teile von Berlin geht. Dennoch möchte ich Mut machen, hierherzukommen.

Damit nicht mehr so viel Mut erforderlich ist, will die SPD den organisierten Rechtsextremismus bis 2020 zerschlagen. Halten Sie das für möglich?

Es ist, zugegeben, ein sehr ehrgeiziges Ziel, aber wir müssen das versuchen. Die Verantwortung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus tragen wir alle gemeinsam. Wenn die zwei Millionen Wahlberechtigten in Sachsen-Anhalt aber bei den politischen Anstrengungen nicht mitmachen, läuft das ins Leere. Aber natürlich kann ich einiges bewegen. Ich kann dafür sorgen, dass wir mit einem Programm politisch gegensteuern. Ich kann dafür sorgen, dass die Polizei ordentlich durchgreift. Ich kann den Informationsfluss beim Verfassungsschutz verbessern. All das mache ich.

Das scheint auch notwendig. Fünf Verfassungsschützer und ihr Amtsvorgänger Klaus Jeziorsky lebten in dem Ort Pretzien, wo „Das Tagebuch der Anne Frank“ verbrannt wurde. Die Polizei hakte den Fall dort zunächst als „Ruhestörung“ ab …

Das war natürlich peinlich. Ich habe deshalb veranlasst, dass alle Polizisten und Polizistinnen nachgeschult werden, damit sie beispielsweise künftig rechtsextreme Symbole besser einordnen können. Außerdem haben wir neue Regeln eingeführt, wie Verfassungsschützer mit Informationen aus ihrem persönlichen Lebensumfeld umgehen müssen. Sie müssen ihrer Dienststelle auch Vorfälle melden, die sie in der Freizeit mitbekommen.

Und Ihr Amtsvorgänger aus Pretzien, was sagt der?

Ich habe mit ihm ein Vieraugengespräch geführt. Und ich werde mich hier nicht über meinen Vorgänger äußern.

Darf man sich nicht wundern, wenn der sich zum Gruppenfoto mit den Jungs von der „Wehrmacht Pretzien“ aufstellt?

Doch, das dürfen Sie.

Wenige Innenminister benennen das Problem mit Rechtsextremen so offen wie Sie. Wieso unterstützen Sie die Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus dann nicht mehr?

Widerspruch, Euer Ehren! Was vor meiner Amtszeit gelaufen ist, möchte ich nicht kommentieren. Ich persönlich habe jede Gelegenheit genutzt, klar für diese Projekte Flagge zu zeigen.

Ihr Land hat sich geweigert, den vom finanziellen Aus bedrohten Beratungsstellen das Überleben zu sichern.

Die Betroffenen haben von uns verlangt, dass wir einspringen, wenn der Bund sich aus der Förderung zurückzieht. Das fand ich falsch. Ich wollte, dass der Bund seine Verantwortung wahrnimmt. Schließlich ist Rechtsextremismus ein bundesweites Problem. Unsere Strategie war erfolgreich, denn Berlin will 5 Millionen Euro drauflegen und damit die Beratungsstellen im Osten retten.

Sie trauen den Initiativen im Besondern und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen aber doch nicht allzu viel zu. Sonst wären Sie kaum ein so starker Befürworter des NPD-Verbots, oder?

Unsinn, ein Verbot beseitigt doch nicht die Kameradschaften oder rechtsextreme Einstellungen in den Köpfen. Aber eine Partei, die die Parlamente nutzt, um dieselben auszuschalten, hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Käme ein solches Parteiverbot nicht dem Eingeständnis gleich, der NPD argumentativ nicht gewachsen zu sein?

Überhaupt nicht. Wir können nicht von den Bürgern verlangen, die NPD zu bekämpfen – und ihr gleichzeitig mit unserem Steuergeld helfen, ihre Strukturen auszubauen. Unabhängig davon ist die Zivilgesellschaft momentan mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus oft überfordert. Mit dem NPD-Verbot könnte man sie in der Auseinandersetzung mit rechts eher stärken.

Sie blicken selbst auf eine Biografie mit starken Brüchen zurück. Noch 1989 sind Sie der SED beigetreten, sie wollten politischer Offizier werden. Später bezeichneten Sie das als Fehler. Haben Sie Verständnis für die Leute, die sich heute für eine undemokratische Ideologie entscheiden?

Nein, das habe ich nicht. Wir haben heute ein freiheitliches Land, niemand wird mehr vom Staat in eine bestimmte persönliche Entwicklung gedrängt. Das ist eine völlig andere gesellschaftliche Realität als in meiner Jugendzeit.

Nehmen Sie den Jugendlichen nicht ab, dass dahinter ein gewisser – wenn auch verquerer – Idealismus steht? Die NPD wirbt mit dem Kampf gegen Hartz IV und mit der sozialen Revolution.

Das ist doch offensichtlicher Blödsinn. Ich kann nicht glauben, dass da ernsthaft jemand drauf reinfällt. Der Kampf der NPD richtet sich gegen die Demokratie und nicht gegen soziale Missstände.