Gemeinsame Isolationshaft

SZENISCHE LESUNG Worte als Brechstangen: Die Reihe „Die Untüchtigen“ bringt Rolf Dieter Brinkmanns einzigen Roman „Keiner weiß mehr“ als Lesung mit Musik auf die Bühne

Eine schonunglose Bestandsaufnahme des falschen Lebens im falschen

VON ROBERT MATTHIES

Böse Worte voller Zorn, darum war Rolf Dieter Brinkmann nie verlegen. Brechstangen waren sie für ihn: nicht beschrieben hat er die Realität mit ihnen – sondern auf sie eingeschlagen, die Hässlichkeit der Welt auseinandergenommen und die Enge der „Phantomgegenwart“ ausgemessen: So wenig Raum bietet sie, „dass man sich immerzu verletzt“. „Wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre“, brüllte er Marcel Reich-Ranicki 1968 in der Berliner Akademie der Künste an, „würde ich Sie jetzt über den Haufen schießen.“ Ungestüme, geballte Wortwut unterwegs zu den Grenzen der Sprache, die immerzu drängt, den Worten zu entkommen – und doch immer nur „Wörter, Formulierungen. Aber was ist denn da tatsächlich? Das kann Sprache, Formulierung nicht sagen.“ Und dennoch: nur als Schreibender lässt sich überhaupt leben.

Seit den frühen 60ern arbeitet der in Vechta geborene studierte Pädagoge als freier Autor und beginnt, am Nouveau Roman orientierte kurzzeilige Prosa zu veröffentlichen. Mitte der 60er rezipiert Rolf Dieter Brinkmann die US-amerikanische Underground-Lyrik, bringt zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla die wegweisende Beatnik-Anthologie „Acid. Neue amerikanische Szene“ heraus, gilt als literarischer Hoffnungsträger, als Politrebell und erster deutscher Popliterat.

Und schreibt mit „Keiner weiß mehr“ seinen einzigen Roman: ein trotzig hingeworfenes, monomanes Stück Prosa, in dem Brinkmanns namenloser Protagonist gerade noch fähig ist, mit bisweilen diffusen Gedanken den Zustand seiner Ehe, seiner Freundschaften, seiner Wohnung, seiner Stadt und seiner Zeit zu schildern – voller Ekel vor sich selbst, voller Misstrauen und Hass auf die dumpfe Bewegungslosigkeit der anderen: voneinander isoliert und doch zusammen gefangen. „Nein, sagte er, ich liebe dich nicht, wirklich nicht! Laßt uns das doch ein für allemal kaputtschlagen“. Das Leben als Standbild: nichts passiert, nichts ändert sich. „Wie immer, nichts Besonderes.“ Außen nur die banale Gleichgültigkeit des Gewöhnlichen, im Kopf nur die Verdichtung der bösen Worte, die allesamt als gleichwertige Fragmente nur nebeneinanderstehen. Eine schonunglose Bestandsaufnahme des falschen Lebens im falschen und ein schamloser Aufschrei in einer gesichtslosen Welt: Der neue deutsche Film? „Genauso beschissen wie das, was geschrieben wurde. Genauso scheißig uninteressant. Alles beschissen. Alles. Aus. Am Ende. Nichts mehr los. Das macht dich auf Dauer krank. Lies ein paar Zeilen, und diese paar Zeilen werfen dich um.“

Morgen bringt die Reihe „Die Untüchtigen“ Brinkmanns Text als Lesung mit musikalischer Begleitung auf die Bühne. Eine klassische Rollenverteilung gibt es dabei nicht, gelesen wird Brinkmanns Welt- und Selbst-Beschimpfung abwechselnd von Jens Rachut, Sänger der Hamburger Band „Kommando Sonne-nmilch“, und den SchauspielerInnen Robert Stadlober und Pheline Roggan. Unterbrochen wird die Stimmencollage von einer aus den MusikerInnen Florian Dürrmann, Kerstin und Sandra Grether, Carsten Hellberg, Lars Horl, Oliver Koch und Peter Thiessen zusammengewürfelten Band, die unter anderem Stücke von „Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs“, „Kommando Sonne-nmilch“ und „Kolossale Jugend“ spielt.

■ So, 21. 11., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66