Inniges Streben

FADO Misia befreit den Fado vom Muff der Geschichte und zeigt, wie schön Leiden ist

von Andreas Schnell

Gäbe es nicht so viel Leid auf der Welt – dann gäbe es vielleicht nur noch sehr wenig intensive Musik. Auch wenn die Behauptung, ein Künstler müsse leiden, um Großes zu erschaffen, dubios scheint, so wirkt Musik, die nicht allein funktional im Sinne von beispielsweise Tanzmusik sein will, häufiger als nicht durch die Beschreibung, Vertonung, Überwindung von Leid: Vom Blues, in dem es wesentlich darum geht, dass das „Baby“ nicht mehr da ist, bis zur Oper, in der Happy Ends weit seltener sind, als eigentlich anzunehmen wäre. Und sogar bei den Anti-Architekturstrategen von den Einstürzenden Neubauten hieß es einst: „Sehnsucht ist die einzje Energie“, von Blixa Bargeld in jenem berühmten berlinernden Ton geraunt.

Sehnsucht – weil sie natürlich am innigsten nach dem besseren Zustand strebt, der aus dem Leid an der Gegenwart heraus imaginiert wird.

In Portugal erfanden sie vor rund hundert Jahren in den Kaschemmen Lissabons den Fado, um der spezifischen Verlaufsform dieser Gemütslage, der schwer übersetzbaren „Saudade“, Herr zu werden. In den letzten zehn Jahren ergriff diese zutiefst melancholische Musik auch nichtportugiesische Herzen. Musikerinnen wie Mariza, Christina Branco führten das Erbe der legendären Amalia Rodriguez fort, modernisierten es behutsam – und rührten nachweislich ganze Säle zu Tränen, übrigens auch ganz ohne Portugiesisch-Kenntnisse.

Eine der wichtigsten Musikerinnen des neueren Fado ist nun in Bremen zu erleben. Misia gilt als eine der ersten Sängerinnen, die den Fado, der oft noch mit der Salazar-Diktatur assoziiert wurde, für ein neues Publikum bereit machten: Durch eine Erweiterung des traditionellen Instrumentariums und neues lyrisches Material von Dichtern wie Fernando Pessoa, Jose Saramago oder Lidia Jorge, aber auch durch stilistische Erweiterung um Tangos und Boleros verschreckte sie einst Traditionalisten und eroberte der Musik der portugiesischen Seele ein neues Publikum, das in der Regel nicht minder ergriffen ist als die alten Portugiesen es einst waren, als ihnen eine Amalia Rodriguez vom unerfüllten Sehnen sang.

■ Samstag, 20 Uhr,Glocke