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Archiv-Artikel

Existenzgründung als Karrierechance

SELBSTSTÄNDIGKEIT Der Anteil von Existenzgründern ist bei MigrantInnen mittlerweile genauso hoch wie bei Nicht-MigrantInnen – allerdings sind die Hürden und die Beweggründe für den Schritt in die Selbstständigkeit unterschiedlich

VON BIRK GRÜLING

Ayse Can möchte ihre Freiheit nicht mehr missen. Viele Jahre arbeitete die Sozialarbeiterin nach der Gründung bei der Stadt Hamburg und bei Profamilia. Als ihr das keinen Spaß mehr machte, entschied sie sich für die Selbstständigkeit: raus aus dem Alltagstrott, mehr Platz für eigene Ideen. Heute, knapp zwei Jahre später, gibt sie Elternkurse für MigrantInnen, leitet Schulprojekte zu Sexualität und häuslicher Gewalt und arbeitet als Therapeutin in einer Gemeinschaftspraxis.

Sogar ein Aufklärungsbuch für türkische Eltern hat Can geschrieben, nur ein passender Verlag hat sich bisher noch nicht gefunden. „Ich habe mich im Vorfeld intensiv mit der Selbstständigkeit auseinandergesetzt und die Entscheidung gegen eine feste Anstellung noch nicht bereut“, sagt sie.

Gründende MigrantInnen wie Ayse Can gibt es in Deutschland viele. Der Gründeranteil ist inzwischen mit fünf Prozent bei MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen gleich groß. Das geht aus einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hervor. Aus Sicht der Autoren besteht darin großes Potenzial für die deutsche Wirtschaft. Die Studie räumt darüber hinaus mit dem Vorurteil auf, Einwanderer, besonders aus Ost- und Südosteuropa, seien „Armutsmigranten“ und Nutznießer des Sozialsystems: Die oft hochqualifizierten Menschen, die nach Deutschland kommen, brächten ihr Fachwissen nicht nur als ArbeitnehmerInnen mit, sondern gäben der Wirtschaft auch als Selbstständige neuen Schwung.

Unterschiede gebe es freilich bei den Gründen für die Selbstständigkeit: MigrantInnen sehen in der Selbstständigkeit deutlich häufiger eine bessere Karrierechance. Das könnte daran liegen, dass es für sie schwieriger sei, als ArbeitnehmerInnen einen Job zu finden, vermuten die Forscher. Oft erhielten sie zudem ein niedrigeres Gehalt als deutsche ArbeitnehmerInnen. Deshalb lohne sich eine Gründung für sie ganz besonders. Ähnlich seien dagegen die Herausforderungen, denen sich Existenzgründer stellen müssen.

„Die Fragen zur Gründung sind eigentlich die gleichen“, bestätigt Kazim Abaci, Unternehmensberater und Geschäftsführer von „Unternehmer ohne Grenzen“. Der Hamburger Verein unterstützt ExistenzgründerInnen mit Migrationshintergrund beim Schritt in die Selbstständigkeit. „Wir bieten Kurse zum Schreiben des Businessplans, zur Kundenakquise oder zur richtigen Buchhaltung“, fasst Abaci das Angebot zusammen. Inhaltliche Unterschiede zu den Gründungskursen der Handelskammer oder Arbeitsagentur gibt es kaum, anders ist nur Zielgruppe.

MigrantInnen schrecken oft vor dem Gang in die Behörden zurück, aus Angst vor Bürokratie und Papierkrieg. „Dadurch werden bei der Gründung häufiger formelle Fehler gemacht und so zum Beispiel die Gründungsförderung gefährdet“, sagt Abaci. Er setzt deshalb bewusst auf niedrigschwellige Angebote. Zum Beispiel gibt es regelmäßige Unternehmertreffen, eine Rechtsberatung und offene Informationsveranstaltungen zur Selbstständigkeit.

Auch Ayse Can besuchte in der Startphase ihrer Selbstständigkeit Kurse des Vereins und der Hamburger Arbeitsagentur. Fast ein Jahr lang investierte sie in die Planung ihrer Gründung, schrieb an ihrem Businessplan und sprach mit potenziellen KundInnen. „Ich habe mich vorher mit Dingen wie Buchführung oder Steuern nicht so intensiv beschäftigt. Ohne diese Fortbildungen und die gründliche Planung hätte es mit der Selbstständigkeit wahrscheinlich nicht geklappt“, sagt sie heute.

Viele der Inhalte braucht sie im täglichen Berufsalltag. Eine Bürokraft kann und will sich Can beispielsweise nicht leisten: Die Buchhaltung und Steuerklärungen macht die Sozialarbeiterin deshalb selbst. Wenn sie nicht gerade vor einer Schulklasse oder mit Eltern spricht, verbringt sie viel Zeit am Rechner, schreibt Angebote und kümmert sich um neue Projekte. „Ich arbeite heute sicherlich mehr als früher, aber ich kann mir die Zeit besser einteilen. Das fühlt sich gut an“, sagt Can.

Sie hat zwei entscheidende Vorteile gegenüber vielen anderen GründerInnen: ihre Berufserfahrung und ihr Netzwerk. Als Sozialarbeiterin kannte Can bereits viele Einrichtungen in Hamburg. „Ich wusste, dass es großen Bedarf an Eltern- und Aufklärungskursen gibt“, sagt sie. Und in der Tat: Über mangelnde Anfragen kann sie sich nicht beklagen, eher über klamme Kassen. Denn die Therapiesitzungen müssen die Kunden selbst zahlen – und im Sozial- und Bildungssektor wird kräftig gespart.

„Ich kann nicht sagen, dass die Selbstständigkeit immer rund läuft. Über Durststrecken und schwierige Zeiten haben wir aber in den Gründerseminaren gesprochen“, sagt sie. Wenn es gut läuft, spart sie deshalb für einkommensschwache Monate – ganz wie es in den Kursen empfohlen wurde.