Verbrechen aus verlorener Ehe

SEXUALPOLITIK Im Konzerthaus hatte Adriana Hölszkys Singwerk „Bremer Freiheit“ Premiere. Die Giftmörderin Gesche Gottfried wird darin zur Frauenrechtlerin

Der Fall war einer der bekanntesten Serienmorde des 19. Jahrhunderts. Über 14 Jahre hinweg tötete die Bremerin Gesche Margarethe Gottfried 15 Menschen in ihrem nächsten Umfeld. Eltern, Kinder und Ehemänner bekamen von ihr „Mäusebutter“ zu essen, mit Arsen vermischtes Schmalz. Ob sie kalt berechnend handelte oder einfach wahnsinnig war, bleibt bis heute kontrovers. Die rumäniendeutsche Komponistin Adrian Hölszky hingegen stellt Gesche Gottfried in ihrem Singspiel „Bremer Freiheit“ nach dem gleichnamigen Stück von Rainer Werner Fassbinder als unterdrückte Frau dar, die sich gegen ihr repressives Umfeld zur Wehr setzt. Trotz deutlicher Botschaft geht es bei der Musik in erster Linie um körperliche Grenzerfahrungen, wie man bei der Premiere der Produktion der Berliner Kammeroper im Konzerthaus am Freitag am eigenen Leib spüren konnte.

Skandalöse Geschichten laufen gern mal Gefahr, Kunst zum großen Spektakel ausufern zu lassen. Eine Serienmörderin scheint für derartige Betriebsunfälle prädestiniert. Und schrill ist das 1989 uraufgeführte Werk Hölszkys allemal. Der am Salzburger Mozarteum lehrenden Komponistin sind Sensationseffekte jedoch eher fremd. Sie verstört lieber mit präzise notierten Klängen zwischen Ton und Geräusch oder Sprache, Gesang und Geschrei, wobei der Übergang vom einen ins andere meist abrupt geschieht und Musikern wie Sängern einiges abverlangt.

Das Kammerensemble Neue Musik Berlin und die Solisten, allen voran die Hauptdarstellerin Annette Schönmüller, meisterten diese Klippe vorbildlich. In der Inszenierung von Kay Kuntze beginnt die Beklemmung, lange bevor der erste Ton erklingt. Auf der Bühne, einem schmalen Laufsteg, hängt Gesche reglos und mit gesenktem Kopf in einer Schaukelkonstruktion, bis ihr erster Mann kommt, um Kaffee, Zeitung und Schnaps zu verlangen. Vor seinen Freunden demütigt und verprügelt er seine Frau, die alles über sich ergehen lässt. Kurz bevor die Freunde gehen, bringt Gesche ihrem Mann einen Kaffee, wenig später ist er tot.

Ich geb dir Kaffee

Der Satz „Ich geb dir einen Kaffee“ ist Leitmotiv des Stücks, fast schon mechanisch erfolgt der Gang zur demonstrativ am Ende des Stegs platzierten Tasse. Davor stapeln sich nach getaner Arbeit die schwarzen Leichensäcke. Schönmüller spielt die Hauptfigur als eine Verzweifelte, die, in ihrem sexuellen Begehren enttäuscht, schließlich den direktesten Weg wählt, um etwaige Widerstände aus dem Weg zu räumen. In der Musik wird die Bedrängnis körperlich spürbar, aus dem irritierenden Geflecht der Klänge, die sich kaum einzeln zuordnen lassen, gibt es kein Entkommen. Oft fühlt man sich von den Instrumenten angefallen, und die Sänger verstören, wenn sie mitten im Satz von klarem Gesang in hysterisches Kreischen, Sprechen oder Flüstern kippen. In dieser hybriden Kunstform ist alles formvollendet überzeichnet und angespannt. Mit ihrer Musik löst sich Hölszky von einer sexualpolitischen Verengung der Handlung und findet zu einer extremen, eigenständigen Kunstsprache.

Hoffentlich bleibt dies nicht die letzte Produktion der Berliner Kammeroper: Von 2011 an will der Senat die Basisförderung streichen. Berlin hätte dann bald deutlich weniger spannendes Musiktheater. TIM CASPAR BOEHME

■ „Bremer Freiheit“, Konzerthaus, 25. bis 27. November, 20 Uhr