„Da kriegt man schon einen Hass“

PUNKROCK Fahrräder mit Bierhaltern statt 300 Punkrocker am Kotti: Yvonne Ducksworth, Sängerin von Jingo de Lunch, über ihre zweite Ankunft in Kreuzberg. Viel hat sich verändert, die Wut blieb erhalten. Heute live im Lido

■ 1967 in Kanada geboren kommt sie als Teenager nach Frankfurt am Main. Mit 16 Jahren zieht die begeisterte Skaterin allein nach Westberlin. Dort gründet sie 1987 Jingo de Lunch, die zur Vorzeigeband der Kreuzberger Autonomenszene werden. Auf den ersten beiden Alben „Perpetuum Mobile“ (1987) und „Axe To Grind“ (1989) fusionieren Jingo de Lunch Punk mit Metal, die Extremvokalakrobatik von Ducksworth avanciert zum Markenzeichen. Nachdem sich die Band 1996 auflöst, geht Ducksworth nach Phoenix.

■ Jetzt ist sie zurück, ein neues Album wurde aufgenommen. „Land of the Free-ks“ ist kein bisschen müde, erstaunlich kompromisslos und nur in Maßen retrospektiv.

■ Jingo de Lunch: „Land of the Free-ks“ (Nois-O-Lution/Indigo), live am 25. 11. im Lido

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Frau Ducksworth, Sie waren zehn Jahre weg. Haben Sie Kreuzberg denn wiedererkannt?

Yvonne Ducksworth: Eigentlich schon. Aber was neu ist, das sind diese vielen Touristen. Was sich hier an Gruppen durchwälzt, auf Fahrrädern durchstrampelt. Ich bin ja in Städten mit vielen Touristen aufgewachsen: New York, Toronto, New Orleans. Aber hier in Kreuzberg ist es schon krass. Die radeln durchs Viertel, gucken in die Luft und fahren Frauen mit Kinderwagen um. Die haben sogar Fahrräder mit Halterungen fürs Bier. Schon gesehen?

Ich hab davon gehört.

Wahnsinn, das hab ich mir echt nicht vorstellen können. Wir sind hier doch in Deutschland. Was ist denn mit den Verkehrsregeln?

Was hat sich denn nicht geändert in Kreuzberg?

Es gibt noch viele Institutionen, die überlebt haben – wenn auch nur knapp, wie das SO 36. Andererseits machen Cafés wie das Jenseits am Heinrichplatz dicht, weil die Mieten zu hoch werden.

Sie waren zehn Jahre in Phoenix. Sie haben dort studiert und gearbeitet. Aber Kreuzberg ist Ihre Heimat geblieben?

Es sind meine Freunde, die mich zurückgezogen haben. Egal wohin in der Welt man geht, es ist nie so schön wie dort, wo deine Freunde sind. Das ist ein ganz anderes Leben in Amerika. Ich bin nicht in Amerika aufgewachsen, und ich bin nicht wie die Amerikaner, das habe ich in der Zeit in Arizona sehr deutlich gemerkt. Was ich esse, wie ich denke, was ich tue, meine politischen Einstellungen. Kreuzberg hat mich total verdorben. (lacht) Als ich mit 16 Jahren hier ankam, es war ein Abend im Oktober, standen am Kotti 300 Punkrocker. Ich weiß bis heute nicht, wieso die da alle waren. Aber es ging Punks gegen Skins, ich konnte kaum Deutsch, aber ich war gleich mittendrin. Diese Lebenslust und diese Wut waren wohl genau das, was ich gebraucht habe.

Diese Wut hat sich erstaunlich gut konserviert. Der Hardcore-Punk auf „Land of the Free-ks“, dem neuen Album Ihrer Band Jingo de Lunch, klingt genauso kompromisslos wie in der großen Zeit der Band.

Die Wut ist immer noch dieselbe, weil die Ungerechtigkeiten auch immer noch dieselben sind.

Wird man mit dem Alter nicht milder?

Das sagt man so. Aber vielleicht gilt das nur für Menschen, die in Amerika wohnen und zwei Autos in der Garage haben. Obwohl: Ich glaube, die sind genauso wütend. Die wissen bloß nicht, wie sie ihre Wut ausdrücken sollen. „Land of the Free-ks“ ist meine Abrechnung mit dem amerikanischen Lebensstil. Dass dort jeder über seine Verhältnisse lebt und mit der Kreditkarte zahlt. Diese Kredit- und Geldindustrie hat meine Mutter ruiniert, meine Familie zerstört. Das sind Ausbeuter. Da kriegt man eine Wut.

Sie sind seit drei Jahren wieder zurück in Deutschland. Woher nehmen Sie in der Gegenwart Ihre Wut?

Da muss man doch nur nach Stuttgart gucken. Oder um die Ecke: Hier wurde eben vor ein paar Tagen der Umsonst-Laden geräumt. Ich war schockiert, als ich das gestern gelesen habe. Man müsste eigentlich 0wieder mit Besetzungen anfangen. Man lebt hier in Kreuzberg ja nicht auf einer Insel. Neulich bin ich von ein, zwei Faschos auf der Brücke nach Friedrichshain angemacht worden. Einer hat sogar Pfefferspray aus der Tasche gezogen, aber ich hab mein Fahrrad einfach weitergeschoben. Das fällt einem als weißer Mittelklassetyp wahrscheinlich nicht auf: Aber wenn ich durch Friedrichshain oder Mitte laufe, werde ich jeden Tag damit konfrontiert, dass ich farbig bin. Da kriegt man schon einen Hass. Werden Sie etwa nicht mehr wütend?

Kaum noch. Ich kann etwas rational scheiße finden, aber ich rege mich lange nicht mehr so auf wie früher.

Wie kann das sein? Komm, lass uns über dich reden. Wir haben doch Zeit.

Ach, lieber nicht.

Ich finde das erstaunlich in Deutschland. In so einem reichen Land, wo die Bildung so gut ist: Warum wehren sich die Leute nicht mehr? Denen ist alles egal, die Deutschen sind viel zu gemütlich.

Gibt es darum Jingo de Lunch wieder? Um die Leute aus ihrer Lethargie aufzuwecken?

Ach, ich weiß nicht. Diese ersten Konzerte nach der Reunion, die waren wie ein Klassentreffen. Ich habe gemerkt, dass diese Band auch anderen Leuten viel bedeutet hat. Das hat mir einen Schub gegeben. Bei der Band geht es mir vor allem darum, dass wir wieder schöne Lieder machen. Lieder, die auch was bedeuten.