Wild-West-Szenen beim Pokalfinale

ITALIEN Ein berüchtigter Ultra vom AS Rom verletzt einen Neapel-Anhänger lebensgefährlich. Ein Verbindungsmann zwischen Fanszene und organisierter Kriminalität versucht sich als Friedensstifter

Die Pistolenschüsse von Rom hatten sogar mittelbare Auswirkungen auf den Ausgang der Meisterschaft

Ein Blumenhändler ist nicht zwangsläufig ein sanftmütiger Zeitgenosse. Daniele de Santis, Inhaber eines römischen Blumenkiosks, zückte am Samstag im Rahmen einer vermutlich von Hooligans des AS Rom provozierten Auseinandersetzung mit Anhängern des SSC Neapel eine Pistole und verletzte mit vier Schüssen drei der neapolitanischen Fans zum Teil schwer. In einer achtstündigen Notoperation wurde dem am schwersten Verletzten nach bisherigem Stand das Leben gerettet. Der Schütze selbst wurde mit gebrochenem Bein ins Krankenhaus gebracht. Gegen ihn wird wegen versuchten Mords ermittelt, gegen drei in den weiteren Ausschreitungen verletzte Neapolitaner wegen Schlägerei.

Das Paradoxe war: Der AS Rom hatte an diesem Tag gar kein Spiel. Aber die sich mit gelbroten Farben schmückenden Krawallbrüder aus der Hauptstadt lauerten laut Augenzeugenberichten den zum nationalen Cupfinale angereisten Süditalienern auf. Dass es sich um eine eskalierte Fehde zwischen den traditionell verfeindeten Tifosi aus Rom und Neapel handelte, lässt sich auch daran ablesen, dass der Schütze De Santis ein bekannter Fananführer des AS Rom ist. Schon 1994 wurde er bei Schlägereien festgenommen. Zwei Jahre später gehörte er zu einer Gruppe Ultras, die von Roma-Präsident Franco Sensi Gratistickets erpressen wollte. Nationale Berühmtheit erlangte er als „Vermittler“ bei Unruhen während des römischen Derbys im März 2004. Die Falschmeldung über ein angeblich getötetes Kind hatte die Gemüter im Stadio Olimpico damals heftig in Wallung gebracht. Das Spiel wurde unterbrochen.

Dieses Szenario wiederholte sich am Samstag. Doch dieses Mal war de Santis nicht „Vermittler“, sondern Auslöser des Tumults. Als Friedensstifter auf Napoli-Seite agierte ausgerechnet ein Mann mit mutmaßlicher Camorra-Nähe. Mafia-Aussteiger bezeichneten Gennaro de Tommaso als Verbindungsmann zwischen Fanszene und organisierter Kriminalität. Die von ihm angeführte Fangruppe „Mastiffs“ soll zudem hinter einigen Diebstählen und Raubüberfälle auf Spieler Neapels stecken. Hintergrund ist die Weigerung der Spieler, an Fantreffen teilzunehmen. Auch Neapels Kapitän Marek Hamsik, der mit de Tommaso in Rom verhandelt hatte, war Opfer einer dieser Diebstähle geworden. Die Camorra hatte später für die Rückgabe der meisten der gestohlenen Objekte gesorgt.

De Tommaso trug bei seinem Auftritt auf dem Begrenzungszaun des Stadio Olimpico zudem ein T-Shirt mit einer Widmung an den verurteilten Mörder des Polizisten Filippo Raciti. Raciti starb 2007 bei Ausschreitungen während des sizilianischen Derbys zwischen Catania und Palermo.

Derart deutlich wurde die Ohnmacht der Staatsgewalt lange nicht mehr. Zwar sind Vorfälle wie die Schießerei vor Beginn des Spiels wohl nur in Staaten mit Totalüberwachung zu verhindern. Dass die Ordnungskräfte sich aber auf die Hilfsdienste eines offensichtlichen Sympathisanten eines Polizistenmörders verlassen muss, der selbst offenbar eine gewisse Nähe zur Camorra pflegt, zeigt, wie erodiert die Strukturen bereits sind.

Römische Fans vermieden tags darauf eine weitere Eskalation des Geschehens. Die Züge zum Auswärtsspiel in Catania blieben leer. Sie hätten den Hauptbahnhof von Neapel passieren müssen – verbotenes Gelände für jede Person mit einem gelbroten Schal an diesem Wochenende. Weil der AS Rom ohne Fanunterstützung beim Tabellenletzten Catania überraschend mit 1:4 unterging, hatten die Pistolenschüsse von Rom sogar mittelbare Auswirkungen auf den Ausgang der Meisterschaft. Juventus Turin wurde im Fernsehsessel vorzeitig Meister.

TOM MUSTROPH