Spurensuche hinter Schaufenstern

Vor dem „Dritten Reich“ betrieben jüdische Kaufleute viele Geschäfte in Hamburg. Durch die „Arisierungs“-Politik der Nationalsozialisten wurden sie gezwungen, ihre Läden zu verkaufen oder zu schließen. Ein Rundgang durch die Innenstadt zu Orten, an denen früher jüdische Geschäfte waren

VON NILS NABER

Der Wind treibt Herbstlaub über den Jungfernstieg. Am Himmel fliegen Wolken vorbei. Die Binnenalster schimmert grau. Eine kleine Menschengruppe, fast alles Frauen, steht vor dem Geschäft „Tee Geschwender“. Die Tür ist mit einem soliden Stahlgitter abgeriegelt, an diesem Sonntagvormittag. Im Schaufenster stehen grüne Teebeutel. Auf einem steht: „Kräutertee Oma Jansen“.

Gabriele Ferk leitet den Rundgang für die Volkshochschule. Die Historikerin hält Fotokopien hoch. Sie zeigen die schwarz-weißen Umrisse eines Modegeschäfts für Damen und Herren.

Genau hier, an der Ecke Jungfernstieg/Alsterarkaden, stand vor über 60 Jahren das Modegeschäft von „Gustav Wilhelm Unger“. Der Inhaber hieß Ildefons Auerbach. 1938 wurde das Geschäft seinem jüdischen Besitzer weggenommen, es wurde „arisiert“, wie es im Nazi-Jargon hieß. Der Hamburger Oberfinanzpräsident hatte in einer so genannten „Sicherungsanordnung“ für Auerbach einen Treuhänder eingesetzt, mit der Begründung, der jüdische Inhaber drohe sich bald abzusetzen; das Eigentum müsse gesichert werden.

Die „Arisierung“ in Deutschland erreichte mit dem Pogrom am 9. November 1938 ihre brutalste Phase. „Mit einfachen Zeitungsannoncen wurde damals über den Besitzerwechsel informiert“, sagt Ferk, und hält eine weitere DIN-A4-Seite in die Höhe, auf der schwarz auf weiß steht, dass „G.W. Unger“ verkauft wurde. Der Name des Geschäfts blieb erhalten, er war schließlich nicht jüdisch.

Wenige Meter weiter den Jungfernstieg entlang steht „Alsterhaus“ in großen Buchstaben an der hohen grauen Fassade. Auch dieses Gebäude stand einmal für das jüdische Wirtschaftsleben in der Hansestadt. Die Besuchergruppe hat vor einem der Schaufenster Halt gemacht. Eine Taube fliegt an dem Gebäude mit dem grünen Kupferdach entlang, in dem heute Waren für die gehobene Klientel verkauft werden. Das Alsterhaus hieß bis 1935 „Warenhaus Hermann Tietz“. Mit der „Arisierung“ der Tietz-Warenhauskette durch die „Hertie“-Beteiligungsgesellschaft bekam das Alsterhaus seinen heutigen Namen. Die Familie Tietz war zum Verkauf gezwungen worden. „Bereits Mitte 1933 hatte sich der Umsatz in der Hamburger Filiale halbiert“, sagt Ferk. Viele Hamburger kauften nicht mehr bei Juden. Familie Tietz konnte durch die Flucht über die Niederlande in die USA dem Holocaust entkommen.

Hans-Joachim Wohlenberg ist bereits im Rentenalter. Bei Kriegsende war er elf Jahre alt. Durch seine große Brille blickt er auf den Steinboden und folgt langsam der Besuchergruppe. „Wieso haben die das zugelassen?“, fragt er. Er meint die Kaufmänner, Juristen und anderen angesehenen Bürger Hamburgs, die an den Enteignungen der Juden hervorragend verdienten. „Die Juden waren doch alles anständige Bürger, die ihre Steuern gezahlt haben!“ Wohlenberg selbst untersucht in seiner Freizeit die „Arisierungs“-Geschichte einer kleinen Firma in Tornesch.

Die Gruppe steht mitten auf dem Kopfsteinpflaster des Gänsemarkts. Aus dem „Lessinghaus“ dringt der Duft von Hamburgern. Im ersten Stock hängt vor der Klinkerfassade ein blaues Plakat, „…mieten Sie hier“ steht drauf. In diesem Gebäude hatte bis 1937 Willy Seligmann seine kleine Bank. Sein Institut war schon vor 1933 in einer Krise, verschärft wurde die Situation durch den Verlust von nicht-jüdischen Kunden nach 1933. Um den Konkurs abzuwenden, griff Seligmann zu betrügerischen Mitteln, in dem er bei ihm hinterlegte Wertpapiere bei anderen Banken als Sicherheiten ausgab. Die NS-Behörden kamen dahinter und brandmarkten Seligmanns Taten als „typisch jüdisches Verbrechen“, sagt Ferk. Das Bankhaus wurde geschlossen. Seligmann beging daraufhin Selbstmord.

Zu den wenigen jüngeren Teilnehmern des Rundgangs gehört Andreas Karcher. Er findet, dass „es in Deutschland gerade wieder verstärkt Versuche gibt, die Geschichte der NS-Vergangenheit von einer Täter- in eine Opfergeschichte umzuschreiben“. Das treibt ihn an, das Wissen aus seinem Geschichtsstudium auf diesem Rundgang zu vertiefen.

An wenigen Häusern, die früher jüdischen Kaufleuten gehörten, sind heute Schilder angebracht, die auf die Zerstörung jüdischen Wirtschaftslebens in NS-Deutschland hinweisen. Zwei Beispiele finden sich an der Ecke Poststraße/Neuer Wall. Ein Straßenmusiker spielt auf seiner Ziehharmonika. Viele Spaziergänger stehen auch am Sonntag vor den erleuchteten Schaufenstern und blicken auf Kleidungsstücke hinter den Scheiben.

An den weißen gründerzeitlichen Textilhäusern von „Möhring“ und „Hermès“ zeugen Tafeln davon, dass die Existenzen der Familien Robinsohn und Hirschfeld am 9. November 1938 zerstört wurden. Ihre Geschäfte wurden geplündert. „Schaufensterpuppen trieben damals im Alsterfleet,“ sagt Ferk.