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Archiv-Artikel

Tante Emma ist wieder da

„Hier entsteht Bürgerengagement“: Schleswig-Holstein fördert Mini-Läden in ländlichen Gemeinden. Den Dörfern sollen die „MarktTreffs“ zu neuen Mittelpunkten werden. Gut 20 gibt es bereits

VON ESTHER GEISSLINGER

Maik Schultze sitzt vor dem Laden auf einem der Plastikstühle, blinzelt in die Sonne und genießt die ruhige Zeit, wenn die meisten Leute im Dorf Kaffee trinken. Trotzdem muss er alle Augenblicke grüßen, wann immer ein Kunde durch das Spalier der Stände zum Eingang geht: „Moin. Moinmoin. Geht’s gut?“

Schultze, 43 Jahre alt und mit einem Lausbubengrinsen unter dem strubbeligen Haar, scheint fast jeden zu kennen. Dabei wohnt er erst seit ein paar Monaten in Witzwort. Normalerweise dauert es ein paar Generationen, ehe man hier, auf der Halbinsel Eiderstedt, aufgenommen wird, aber Maik Schultze und seine Frau Inge haben von Anfang an mit Elan losgelegt. Das mögen die Leute. Und den Laden.

Der heißt nun Markttreff und schreibt sich offiziell „MarktTreff“, mit einem Großbuchstaben in der Mitte. Dabei sind sie etwas ganz Altes, diese Markttreffs, die in ganz Schleswig-Holstein entstanden sind und noch entstehen sollen: Dorfkrämer hießen sie früher, Höker, Tante-Emma-Läden. Überholt und unmodern, dachte man, wo es doch überall die großen Discounter gibt und jeder ein Auto hat. Viel zu teuer, weil für 140 Quadratmeter Verkaufsfläche vier Personen notwendig sind und die sogar noch Zeit zum Schnacken haben, hier und da. Chancenlos, eigentlich. Wenn Tante Emma leben soll, muss sie künstlich beatmet werden.

„Ich werde nicht gefördert“, sagt Schultze, „ich muss alles selbst erarbeiten.“ Stimmt – und stimmt nicht: Gehälter, Waren, laufende Kosten muss er als Pächter erwirtschaften. Aber den Umbau des Hauses, den Computer hinten im Treff-Bereich, die Stühle und Tische, die Schilder und die flatternde Fahne draußen an der Straße, die haben das Land und die Gemeinde gezahlt. Zusätzlich bekommt der Pächter Workshops und Beratung. Ein Verein steht hinter dem Markttreff. Macht der dennoch in den ersten zehn Jahren Pleite, müsste der Ort das Geld zurückzahlen, 280.000 Euro.

Anfangs, als die Kunden ausblieben, hat Bürgermeister Willy Behrendt deshalb verdammt schlecht geschlafen. „Das Geld ist verbaut“, sagt er. „Wir müssten einen Kredit aufnehmen, um das zurückzuzahlen.“ Eine Weile hat er selbst an der Kasse gestanden, bis ein neuer Pächter gefunden war: „Die Grundversorgung aufrecht erhalten“. Nun kommt er nur noch zum Einkaufen und Schnacken vorbei.

Hinter den Markttreffs steht die Idee, dass ein Dorf eine Mitte braucht, und dass die zwischen Gemüseregal und Brotstand liegt: „Moderne MarktTreffs sichern Grundversorgung, fördern Entwicklungspotenziale und schaffen Arbeitsplätze“, heißt es auf der Markttreff-Seite im Internet. „Hier wird eingekauft. Hier treffen sich Menschen. Hier entsteht Bürgerengagement.“ So wichtig ist Tante Emma.

Von 50 vorgesehenen Treffs haben 20 bereits eröffnet, und keiner gleicht dem anderen. Der in Witzwort ist einer der Größeren, demnächst fängt der erste Lehrling an, ein Mädchen aus dem Dorf. Im Treff bekommen die Einheimischen Rentenberatung und die Touristen Tipps zu Ausflugszielen, es gibt einen kostenlosen Internetzugang. Von Schultzes Büro aus kann man auch Faxe verschicken und muss dafür nicht mehr bezahlen als das Versprechen, regelmäßig bei ihm einzukaufen.

In anderen Orten wurden bestehende Läden vergrößert, um einen Kaffeeausschank und einen Computer unterzubringen. Ist das Hilfe für das Dorf oder für den einzelnen Kaufmann? Ein Markttreff in Ostholstein beschäftigt Behinderte. Ein Dorf plant sein Zentrum rund um den Markttreff neu. Die Modelle reichen vom stundenweise geöffneten besseren Kiosk mit Ehrenamtlichen bis zum Dorfsupermarkt mit allem von Waschpulver bis zu frischem Obst.

Aber eine moderne Tante Emma muss sich anstrengen. Maik Schultze, Fleischer von Beruf und ehemals Kommunalpolitiker, hat einen „Family Day“ veranstaltet und einen Ex-Containerbewohner eingeladen, demnächst gibt es ein Kinderfest. In den Kühlregalen steht Milch aus der örtlichen Molkerei, das Fleisch stammt von Schweinen und Kühen aus der Umgebung. „Klar, ich kann gegen Aldi und Lidl nicht anstinken“, sagt Schultze. „Aber die Leute wissen, dass sie hier Service kriegen.“ Neulich hat er sogar Schnuller beschafft – für Lämmer.