: Perspektive Altersheim
BÜHNE Übergänge ins Vergessen: „Der Blick der Tosca“ am Goetheplatz
Beim einen dauert’s noch ein paar Jahre, bei der anderen nicht mehr ganz so lang oder umgekehrt – aber da diese unsere Gesellschaft ja immer älter wird, ist auch die Perspektive Altersheim eine, mit der viele werden leben müssen, auch aus dem Premierenpublikum, das von Peter Fasching vor dem Betreten des Kleinen Hauses mit den Örtlichkeiten und Gepflogenheiten eines ominösen Heims vertraut gemacht wurde – dabei hatte man doch ins Theater gewollt.
Aber so geht das im Leben bekanntlich: Ehe du dich versiehst, ist es vorbei mit dem Theater und es kommt jenes Zwischenreich zwischen Leben und Tod, wo man zwar noch einiges tun kann, sich halbwegs fit zu halten, aber eigentlich das meiste hinter sich hat. In dieses Zwischenreich führt uns Anna-Sophie Mahler in „Der Blick der Tosca“, lässt uns dabei zusehen, wie drei Menschen (Matthieu Svetchine, Peter Fasching und Annemaaikke Bakker), begleitet von einem Pianisten (Bendix Dethleffsen), in einer Art zeitlupenhaft verlangsamter Jazzgymnastik regelmäßig das Bein heben oder sich von einst erzählen, einschließlich sich reizvoll in Endlosschleife legende Betrachtungen über die Unzulänglichkeit der Erinnerung.
Puccinis „Tosca“ spielt in diesem Zusammenhang durchaus eine Rolle, Teile der Oper erklingen, aber zumeist von den Schauspielern gesungen, die ab und an auch Glockenspiel dazu spielen, bisweilen auch nur vom Plattenspieler. Für eine der Figuren hat die „Tosca“ immerhin starke biografische Bezüge. Womit wir in Wirklichkeit und Gegenwart angekommen wären: Die Menschen, die uns von dem kleinen Ensemble gezeigt werden, zu dem ab und an noch der Sänger Johannes Scheffler stößt, wohnen in Bremen – im Altersheim. Sie entsprechen den zentralen Figuren der Oper: ein Künstler (Svetchine), ein Polizeipräsident (Fasching) und eine Politaktivistin (Bakker).
Auch wenn die Handlung des Abends lose der Opernhandlung folgt, ist Mahlers Stück doch weit eher dokumentarisches Theater zum Thema Erinnerung, eine behutsame Annäherung an das Erinnern, dessen Übergänge ins Vergessen. Behutsam nähern sich Bakker, Svetchine und Fasching ihren Figuren an, denunzieren sie nicht, auch wenn gelegentlich ein hauchzarter, liebevoller Spott durchschimmert.
Nein, große Oper ist das nicht, nicht nur, weil es eher Schauspiel ist. Es gibt hier eben auch nicht jene ganz großen Gefühle, good or bad: Ein Scarpia hat keine Gewissensbisse. Ein Polizeipräsident im Ruhestand tut sich da vielleicht schon schwerer, wenn er beim Verhör das Grundgesetz mal vergisst. Und dürfte es in der „Tosca“ sein, dass ein Cavaradossi als kleiner Bub begeistert die Lieder des Feindes sang, wie es unser Künstler im Heim gesteht? Wer weiß das schon – in der Oper sterben sie ja meist zu früh, um im Alter mit den Jugendsünden rauszurücken.
Insofern erzählt „Der Blick der Tosca“ gleichsam davon, was die Oper nicht zeigt: was nämlich geschieht, Wenn die großen Kämpfe gekämpft sind, und seien sie auch noch so klein. ASL