: Es ist ausgestanden
Die Demokraten haben die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus. Nur was fangen sie mit der Macht an?
Aus Washington ADRIENNE WOLTERSDORF
Es war eine schier endlose Zitterpartie: Erst rund 24 Stunden nachdem die US-Wahllokale geschlossen wurden, wurde klar, dass auch der Senatssitz des US-Bundesstaates Virginia an die Demokraten fallen würde. Jim Webb, der demokratische Senatskandidat, jagte mit 7.200 Stimmen Vorsprung dem republikanischen Amtsinhaber George Allen den entscheidenden Sitz im Senat ab. Damit stellen die Demokraten erstmals seit 12 Jahren sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat wieder die Mehrheit.
Angesichts des Verlustes seiner konservativen Mehrheit im Parlament reagierte US-Präsident George Bush am Vormittag nach der Wahl unerwartet schnell. Bereits am Mittag kündigte er an, seinen umstrittenen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld durch den ehemaligen CIA-Chef Robert Gates ersetzen zu wollen (siehe Porträt Seite 2). Bush lobte Gates mit Blick auf die Probleme im Irak als „standhaften Führer“, der helfen könne, die nötigen Anpassungen für „unsere derzeitigen Herausforderungen“ vorzunehmen. Der Texaner bringe eine „frische Perspektive und gute Managerqualitäten“ mit. Der 63-Jährige stand von 1991 bis 1993 an der Spitze des Geheimdienstes CIA.
Ein etwas bleicher Rumsfeld bezeichnete seinen Rauswurf als vernünftige Entscheidung. „Es wird ein anderer Kongress sein, eine andere Umgebung auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl, (…) es leuchtet mir ein, dass es für alle gut ist.“ Rumsfeld war sowohl von den Demokraten, zunehmend aber auch von US-Militärs Inkompetenz vorgeworfen worden.
Ein energischer Bush kündigte an, dass er mit den Demokraten zusammenarbeiten wolle. Der Demokratin Nancy Pelosi, die als erste Frau in der Geschichte der USA Sprecherin des Repräsentantenhauses wird, das dritthöchste Amt der USA, gratulierte er. Pelosi hatte Bush im Wahlkampf hart angegangen, doch für den gestrigen Donnerstag war sie bereits zu einem Arbeitsessen ins Weiße Haus eingeladen. Nach eigenen Angaben wollte Bush zudem führende Demokraten über die neuesten Entwicklungen im Irak informieren.
Der demokratische Senator Harry Reid kündigte an, seine Partei wolle eine neue Richtung für das Land vorgeben. Der Kongress werde sich nach seiner Konstituierung im Januar einer „Reihe von Themen“ annehmen. Als Beispiele nannte Reid einen Kurswechsel im Irak, die Anhebung der Mindestlöhne, die Bewältigung der Krise im Gesundheitswesen und die Energiefrage. Mit Virginia verfügen die Demokraten nun über 51 der 100 Sitze im Senat. Zum prodemokratischen Lager zählen die beiden unabhängigen Kandidaten Joseph Lieberman, ein erklärter Irak-Kriegs-Befürworter aus Connecticut, sowie Bernie Sanders aus Vermont. Im Repräsentantenhaus werden die Demokraten nach vorläufigen Ergebnissen künftig 229 Sitze innehaben, die Republikaner halten 197 Sitze. Neun Mandate waren am Donnerstag zunächst noch offen. Mit dem endgültigen Wahlergebnis wird frühestens Ende November gerechnet.
Unterdessen rätselte die irakische Regierung darüber, was die dramatisch veränderte politische Landschaft in Washington für den Irak bedeuten könnte. Einige irakische Politiker äußerten die Sorge, dass sich die US-Truppen nun ihren Verpflichtungen im Land entziehen könnten. Andere gaben sich optimistisch hinsichtlich einer Verbesserung der Lage. Sadoon al-Zubaidi, Saddam Husseins früherer Englisch-Dolmetscher und heutiger Berater der Sunniten im Parlament, sagte, die US-Amerikaner müssten nach dem Wahlergebnis einsehen, dass die Irak-Invasion „ein absoluter Fehler“ war. Der irakische Premier Nuri al-Maliki hatte in einem BBC-Interview versucht, die Bedeutung des Wahlausgangs herunterzuspielen: „Ich glaube nicht, dass es größeren Veränderungen in den letzten beiden Jahren der Bush-Administration geben wird.“